07.07.2004 15:53
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_TylerDurden_
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Weil du die "Hausmacht" der Salinger erwähnt hast: Der König besaß also noch seine Privat-Ländereien neben Deutschland? Beziehungsweise: Was hatte denn der König für Rechte (und Pflichten)? Konnte er von Herzögen Steuern verlangen?
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07.07.2004 16:58
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MorgothderGrosse
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@Tyler. In der Tat-der König hatte ja auch vor seiner Wahl irgendein Amt ausgeübt. Fast ausnahmslos war er Herzog eines der fünf Herzogtümer (Sachsen, Franken, Bayern, Schwaben, Lothringen) gewesen und besaß dementsprechend ein großes Gebiet als Familienbesitz. In diesem Gebiet konnte er schalten und walten, wie er wollte. Es gab interessanterweise keine festgelegten Befugnisse des Königs-der König konnte tun, was in seiner Macht stand. Diese Macht basierte auf drei Faktoren: Der Hausmacht, der Persönlichkeitsstärke des Königs und der Stellung der Ritter zu ihm. Machtvolle Herrscher, wie es die Ottonen und Salier waren, konnten ihren Herzögen und Grafen im Grunde alles befehlen. Die Mindestpflichten, die ein Herzog dem König gegenüber hatte, war die Einrichtung von Pfalzen für den König, ein jährlicher Beitrag zu den Reichsfinanzen und jeweils im Frühjahr eines neuen Jahres die Stellung von ausgerüsteten Truppen für den König. Bis ins frühe 13.Jahrhundert funktionierte dieses System ganz gut-mal war der König etwas stärker, mal etwas schwächer.
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07.07.2004 18:38
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MorgothderGrosse
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So, nun aber zurück zur Geschichte. Zurück ins Jahr 1056: Der machtvolle Kaiser Heinrich III., Herr von Jütland bis Rom und von der Loire bis Polen, ist tot, ein neuer Regent muss her. Bevor wir zum eigentlichen Geschehen kommen, erzählt Fischer-Fabian eine zeitgenössische Anekdote, die sich um die Kindheit Heinrichs IV., des Sohnes Heinrichs III. rankt:
"Da sitzt das kaiserliche Kind vor seiner Schüssel mit Brei, der Vater kommt herein und mit ihm ein Mönch, klein, hässlich, von fahlbrauner Gesichtsfarbe. Er ist aus Rom gekommen, den Prinzen im Namen seiner Apostolischen Majestät zu segnen, den Treueschwur zu leisten und zu versprechen, niemals gegen den Erben der deutschen Krone die Brandfackel zu schleudern oder das Schwert Petri zu erheben. Ein ungewöhnliches Verlangen, das bisher nicht üblich gewesen war, aber der hässliche Mönch schwört, und als er dem Knaben jetzt gegenübersteht, lächelt er und spricht ein paar gutmütig-herablassende Worte nach Art der Erwachsenen.
"Aber der Sohn des Kaisers", so berichtet der Chronist, "schmähte ihn, weil er ihn so hässlich fand, und warf ihm Brei ins Gesicht, ihn dabei mit allen Schimpfwörtern bedenkend, die ein Kind nur kennen kann. Als die Mutter hinzukam, verbot sie ihrem Sohn die Ungezogenheit und verbat sich die Scherze des Vaters darüber..."
Diese Szene spielte sich in der Kaiserpfalz zu Goslar ab. Der Vater war Heinrich III., der Sohn Heinrich IV., die Mutter Agnes von Poitou, der Mönch hieß Hildebrand, besser bekannt unter seinem späteren Namen Gregor VII."
Diesen Hildebrand sollte man sich einprägen-denn er und Heinrich IV. werden die Hauptakteure eines welthistorischen Kampfes sein, bei dem die Christenheit den Atem anhielt. Kommen wir zurück ins Jahr 1056, das Todesjahr Heinrichs III.:
"In einer Zeit, in der Männer die Geschichte machten, musste sich ein Tod zur Unzeit verhängnisvoll auswirken. Noch dazu, wenn der Nachfolger ein sechsjähriger Knabe war. Auch beim Tode Ottos II. hatte man geklagt "Wehe dem Land, dessen König ein Kind ist", doch damals hatte das Kind eine Mutter, Theophano, die ihm den Thron mit Tatkraft und Klugheit erhielt.
Agnes von Poitou, die Französin, die nun die Regentschaft übernahm, war weder tatkräftig noch klug. Von labilem Charakter, allen Einflüsterungen ausgeliefert, ängstlich, unsicher, machte sie eine denkbar schlechte Figur. Fromm bis zur Bigotterie, war sie jenen Päpstlichen hörig, die das in Frage stellten, was sie als Regentin zu vertreten hatte: Das Kaisertum. Und nichts ist bezeichnender für sie als ihr sehnsüchtiger Wunsch, sich in ein Kloster zurückzuziehen.
Da sie keine Menschenkenntnis besaß, wurde ihre Personalpolitik zu einem Fiasko. Unfehlbar setzte sie den falschen Mann auf den falschen Platz. Der wichtigste Posten in der deutschen kirchlichen Hierarchie, der Stuhl des Erzbischofs von Mainz, kam an einen Schwächling, den Mönch Siegfried, der dann auch promp versagte, als die Krone seine Hilfe brauchte. Bayern, für den Bestand des Reiches seit jeher von eminenter Bedeutung, wurde an Otto von Nordheim übertragen, später des jungen Königs schlimmster Feind. Das Herzogtum Schwaben bekam ein burgundischer Höfling namens Rudolf von Rheinfelden, als Gegenkönig Heinrichs IV. zu trauriger Berühmtheit gelangt.
Die alte Weisheit, wonach schwache Herrscher Böseres zeugen können als harte Tyrannen, zeigte sich am Hofe täglich. Und noch eines wurde offenbar: mit welcher Hemmungslosigkeit der Egoismus der Großen hervorbrach, wenn niemand da war, der ihn zu zügeln vermochte. "Der König war ein Knabe", schreibt der Altaicher Annalist, "die Mutter gab bald diesem, bald jenem, der ihr Rat bot, willig nach, und die anderen, die am Hofe waren, trachteten nur nach dem Gelde. Ohne Geld konnte niemand dort eine Sache führen, zwischen Recht und Unrecht wusste man nicht mehr zu unterscheiden."
Sie plünderten den kleinen König aus wie die Straßenräuber, die Herzöge und Bischöfe, die Fürsten und die Markgrafen, vergriffen sich an den Einkünften aus den Klöstern, übereigneten sich die Langüter, überschrieben sich Zoll-,Münz-,Marktrechte. In wenigen Jahren gingen dem Königsgut elf Abteien verloren, vier große Höfe, eine Stadt, Burgen, Dörfer, eine ganze Grafschaft, selbst die großen Reichsklöster, auf deren Einkünfte der Kaiser seit jeher angewiesen war, waren nicht mehr sicher.
In dieser Atmosphäre von Raffsucht und Neid, Lug und Trug, List und Gewalt wuchs Heinrich IV. auf, von der Mutter verwöhnt, doch nicht geliebt, von den Höflingen umschmeichelt, doch hintergangen. Das Produkt war ein frühreifer Knabe, mit wissenden Augen, ohne Gefühl für das Maß-die höchste Tugend des Mittelalters-, haltlos schwankend zwischen den vielen Erwachsenen, die es scheinbar gut mit ihm meinten, verschlagen, zutiefst misstrauisch gegen alles und jeden, unzuverlässig, intrigant mit allen Wassern gewaschen. Wenn je ein Mensch in seiner Kindheit negativ geprägt wurde, so war es dieser Salier, und manches, was einem später bei ihm abstößt, erklärt sich aus einem Mangel an Nestwärme und an Leitbildern.
Was waren das auch für "Erwachsene", die sich beim Pfingstfest im Dom zu Goslar die Köpfe blutig schlugen, weil sie sich in maßloser Eitelkeit nicht über die ranggemäße Sitzordnung einigen konnten, die auch dann nicht aufhörten mit dem Gemetzel an heiliger Stätte, als ihr kindlicher König mit angstvoll schriller Stimme um Hilfe rief?"
Hier der Dom von Goslar, in dem sich die bizarre Szene abspielte:

Bevor es weitergeht, hier die Unterschrift Kaiser Heinrichs IV. unter einer Urkunde (Von seiner Hand stammt der Mittelstrich des Quadrates neben dem Siegel):

So, und weiter geht es mit Heinrich IV. und seiner unglücklichen Jugend:
"Die Perfidie derer, die durch König Heinrich IV., das Kind, das Geschäft ihres Lebens machen wollten, erreicht 1062 ihren Höhepunkt. Auf der Rheininsel Kaiserswerth, zwischen Duisburg und Düsseldorf gelegen, verlebt er die Ostertage mit seiner Mutter. Ein Schiff kommt den Strom herab und macht an dem kleinen Pier fest. Sein Eigner, der Erzbischof Anno von Köln, geht an Land und lädt den jetzt zwölf Jahre alten König ein, sich doch einmal das prächtige Schiff anzuschauen. Kaum an Bord, wird Heinrich IV. umringt, abgedrängt, er sieht, wie der Bug sich stromaufwärts wendet.
"Mord" schreit er, "Mörder!"; denn nichts anderes vermag er, in der Schule des Misstrauens erzogen, zu glauben, als dass man ihm ans Leben will. Er reißt sich los, springt mit einem Satz in das noch eisig kalte Wasser, die Strömung packt ihn, und er wäre ertrunken, wenn ihn nicht der Graf Eckbert von Braunschweig, einer der Verschwörer, aus dem Wasser gezogen hätte. Der junge König darf nicht umkommen. Man hat mit ihm große Pläne. Denn wer den Erben besitzt, besitzt die Regentschaft.
Die Reaktion der Mutter auf den Raub ihres Sohnes ist beschämend. Sie beschränkt sich darauf, am Ufer zu stehen und die Hände zu ringen. Später resigniert sie, wagt nicht einmal die ihr nach uraltem germanischem Recht zustehende Sühne zu fordern. Sie gibt klein bei, im Grunde froh darüber, nicht mehr die Last der Regentschaft tragen zu müssen, und entschließt sich, wie der Chronist Lampert von Hersfeld im Stil seiner Zeit berichtet, "auf die Welt zu verzichten, da sie der Ekel über deren Mühsale und das Unglück in ihrer Familie belehrt hatten, wie schnell unter dem Hauch Gottes das Gras zeitlichen Ruhmes dahinwelkt."
Bis zu ihrem Tod blieb Agnes im Kloster, bestattet wurde sie in der Kaisergruft des Speyerer Domes.
Annos Tat war selbst in der Zeit, die wenig Skrupel kannte, ein Skandal, und da er das wusste, hat er sich zu rechtfertigen versucht. Er, dessen Motiv nackte Gier nach Macht war, gab nun vor, mit der Logik des ertappten Diebes, dass seine Absichten lauter gewesen seien, er den jungen König nur vor einer "böse Gewohnheiten erzeugenden, schlaffen Aufsicht" habe bewahren wollen, um damit einem "unwürdigen, Krone und Reich schädigenden Zustand ein Ende zu bereiten."
Das Opfer selbst versuchte er mit dem Argument zu beruhigen, dass ein zukünftiger Kaiser kaiserlicher Erziehung bedürfe. Er verschwieg, dass er sich diesen Dienst mit einem Neuntel der Reichseinnahmen bezahlen ließ, seinen Bruder zum Erzbischof von Magdeburg machte, einem Neffen das Halberstädter Bistum zuschob, zwei guten Freunden Minden und Utrecht. Heinrich IV. aber schien zu wissen, was er von diesem neuen Vormund zu halten hatte: er hat ihn so sehr gehasst, dass er bei seiner Schwertleite, dem Akt des Mündigwerdens, dieses Schwert in jähem Zorn gegen ihn erhob. Kaiserswerth ist ein Leben lang ein Schock für ihn geblieben.
Bald bekam Heinrich IV. noch einen zweiten Vormund, Adalbert von Bremen, eine der glanzvollsten Erscheinungen unter den Erzbischöfen, unumschränkter Beherrscher des Nordens bis in die fernsten Gefilde Norwegens, Schwedens, Finnlands und so stolz, dass er den Stuhl Petri in Rom ablehnte, weil er, was seine Macht betraf, sich päpstlicher als der Papst fühlte, ja mit dem Gedanken spielte, seine eigene Kirche zu gründen. Adalbert war ein Grandseigneur, königlich in seinem Auftreten-und in seinen Ausgaben. Ein Verschwender, der trotz großer Einnahmen große Schulden hatte und nun die Gelegenheit wahrnahm, sie mit Hilfe Heinrichs IV. ein wenig zu tilgen.
Behandelte Anno den König mit schulmeisterlicher Pedanterie, so erzog ihn Adalbert antiautoritär und betonte nachdrücklich, dass jeder junge Mensch töricht sei, der seinen Gelüsten nicht freien Lauf ließe: Heinrich IV. hielt sich gern an diesen pädagogischen Grundsatz, ging mit einer Schar junger Leute, die man heute Playboys nennen würde, auf Schürzenjagd, trank Unmengen Wein, raufte, randalierte, hatte zwei, drei Konkubinen gleichzeitig und war, wie der Mönch Bruno berichtet, der als Sachse ihn allerdings nicht leiden konnte, derart "im Dornengestrüpp feiler Lüste gefangen", dass er "einem auf der abschüssigen Bahn des Frevels durchgehenden Gaul" glich und seine Prostituierten mit den aus den Altarkreuzen gebrochenen Edelsteinen bezahlte."
Hier Heinrich IV. als Erwachsener in einer mittelalterlichern Buchmalerei:

Und nachher oder morgen kommen wir zu den Taten Heinrichs IV., nachdem er mündig und damit regierender König und später Kaiser wurde.
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08.07.2004 20:29
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MorgothderGrosse
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So, zurück zu Heinrich IV., der nun fünfzehn Jahre und damit fast mündig ist:
"Um Heinrich IV. auf den Pfad der Tugend zu führen, beschloss man, den Fünfzehnjährigen unter die Haube zu bringen. Nach einer Braut zu suchen, erübrigte sich; die junge Dame lebte bereits seit Jahren am Hofe. Heinrich IV. war im zarten Alter von fünf Jahren mit der noch jüngeren verlobt wprden und zusammen mit ihr aufgezogen. Bertha, wie sie hieß, war eine Tochter aus dem befreundetem Hause des Grafen von Savoyen und der Markgräfin Adelheid von Turin und damit Garantin der deutschen Macht in Oberitalien.
Heinrich IV. und Bertha, das war die übliche Ehe aus Gründen der Staatsraison, bei der die gegenseitige Achtung die Liebe ersetzen musste, was meist gutging-diesmal allerdings nicht. Der junge Ehemann schockierte jene, die ihn verkuppelt hatten, mit der abenteuerlichen Forderung, geschieden zu werden. Abenteuerlich deshalb, weil Scheidung so gut wie unmöglich war. Es sei denn, ein Mann konnte seiner Frau einen Seitensprung nachweisen. Das aber konnte der junge König nicht. Er versuchte nicht einmal, nach berüchtigten Vorbildern, einen Ehebruch zu inszenieren, sondern brachte, auf einer Tagung der Reichsfürsten zu Worms, ganz naiv vor, dass ihm die aufgezwungene Dame nicht gefalle. Hier gehört ihm unsere ganze Sympathie, denn er sprach aus, was mancher Prinz und manche Prinzessin gesagt hätten, wenn sie den Mut dazu besessen.
"Lange genug habe ich ein falsches Spiel gespielt vor den Augen der Menschen", sagte er, "doch jetzt und hier muss die Täuschung enden. Es ist mir, nur Gott weiß durch welches Verhängnis, unmöglich, mit der Königin ehelich zu verkehren. Und deshalb beschwöre ich euch, uns beide von der verwünschten Fessel zu befreien, auf dass mir und ihr der Weg in eine andere, glücklichere Ehe bleibe. Und damit niemand glaube, die Königin sei für eine zweite Ehe untauglich, so versichere ich unter Eid, dass ich sie all die Zeit als reine, unverletzte Jungfrau gehalten habe."
Die meisten der hohen Herren fanden soviel Ehrlichkeit abscheulich und mit königlicher Würde unvereinbar, wagten aber angesichts eines mit solcher Festigkeit vorgebrachten Entschlusses auch nicht, das Scheidungsbegehren abzulehnen. Sie vertrösteten Heinrich IV. auf eine einzuberufene Synode.
Der Papst entsandte Petrus Damiani nach Deutschland, der in seinem Liber Gomorrhianus die Laster des Klerus erbarmungslos angeprangert hatte und deshalb auch in Sachen weltlicher Moral unverdächtig war."
Damiani überzeugte Heinrich IV. die Ehe aufrecht zu erhalten, sodass der junge König schweren Herzens mit leiser Stimme sagte: "Ist es denn euer Wille, ihr Herren, so will ich mir selbst Gewalt antun und mich auch fernerhin dem Joch beugen, das ich nicht abwerfen kann. Gott möge mir dabei helfen."
Nach diesem Abstecher in Heinrichs IV. Eheleben kommen wir zu den Taten des gerade mündig gewordenen Königs. Vorher aber ein Bild des Wormser Kaiserdomes, der ersten Stammkirche der Salier, in dessen Gruft die Salier liegen, die vor dem Aufstieg der Salier zur Königsmacht 1024 gestorben waren. Allerdings stammt ein großer Teil des heutigen Doms erst aus der Zeit Heinrichs V., des letzten Saliers und der Zeit danach. Hier der Dom von außen:

und die Westapsis des Monumentalbaues im Detail:

So, und nun wieder zu Heinrich IV.:
"Einen Teil des unter der Regentschaft der Vormünder verschleuderten Reichsvermögens zurückzuholen, schien das vordringliche Ziel, und das Land, in dem es zu holen war, hieß Sachsen, "an Frieden und Fruchtbarkeit einem Paradiese nicht unähnlich". In Sachsen lagen die Silberbergwerke, befanden sich seit den Tagen der Ottonen die Güter der Krone, existierten gewinnbringende, dem König zustehende Regalien.
Die Sachsen, die als Angehörige eines noch bäurisch bestimmten Volkes Landbesitz über alles schätzten, überhaupt als ziemlich geldgierig galten, waren nicht bereit, auf etwas zu verzichten, was sie nach dem Gewohnheitsrecht längst als ihr Eigentum ansahen. Schon gar nicht, wenn einer daherkam, der das stolze Geschlecht der sächsischen Ottonen abgelöst hatte, auch noch die Stirn besaß, mit einem Haufen Schwaben anzurücken. Die Gegnerschaft zwischen Nord und Süd, auch heute noch in Deutschland spürbar, hat uralte Tradition.
Heinrich IV. stampfte überall Zwingburgen förmlich aus dem Boden, um seine Forderungen durchzusetzen. Hier war er von Adalbert schlecht beraten, denn es war bekannt, dass man die Sachsen zu nichts zwingen konnte. Sie erhoben sich, geführt von Otto von Northeim, dessen Güter der König wegen angeblichen Hochverrats enteignet hatte, zündeten die Burgen an, räucherten die "Schwabenbrut" aus und zwangen Heinrich IV. zu schimpflicher Flucht aus der stark befestigten Harzburg."
Viel ist von der einst mächtigen Harzburg bei Braunschweig nicht mehr erhalten. Hier ein Bild der Ruinen:

Und zurück zu Heinrich IV. und dem Aufstand der Sachsen, dem sogenannten "Sachsenkrieg":
"Erschöpft, demoralisiert, krank dazu, erreichte Heinrich IV. nach langem Umherirren den Rhein und erfuhr dort, dass die Erzbischöfe von Mainz und Köln sich bereits über seinen Nachfolger unterhielten. Heinrich IV. zeigte in diesem Moment die unheimliche Widerstandskraft, jene durch nichts zu erschütternde Moral, die ihn auch in Zukunft schlimmste Niederlagen überwinden ließ. Diesmal hatte er das Glück, die Bürger von Worms auf seiner Seite zu wissen, Männer, die durch Handel und Handwerk wohlhabend geworden waren.
Die Wormser hatten eine Tat von atemberaubender Kühnheit gewagt, die bald Schule machen sollte: sie jagten ihren dem König feindlich gesonnenen Bischof zum Teufel und holten Heinrich IV., alle bis an die Zähne bewaffnet, feierlich in ihre starken Mauern ein, ihm jeden Schutz und jede Hilfe bietend. Damit betrat eine neue Macht die Bretter des Welttheaters: die Stadt und ihre Bürger. Die Vertreter der neuen Gesellschaftsschicht zeigten sogleich, warum sie so reich geworden. Der nicht ungefährliche Dienst, "in der größten Not des Reiches mit der größten, herrlichsten Treue" zur Krone gestanden zu haben, war keine Gratiszuwendung. Um das dem König klarzumachen, wiesen sie durch die Blume darauf hin, wieviel preiswerter doch alles sein könne, wenn nur der kaiserliche Zoll nicht wäre. Bis Majestät verstanden hatten und der Stadt Worms in einer Urkunde, die heute noch im Stadtarchiv zu besichtigen ist, feierlichst Freiheit von allen Abgaben zusicherte.
Worms sah damit herrlichen Zeiten entgegen, und auch für den König Heinrich IV. zeigten sich Silberstreifen am Horizont. Zwar hatte er den Rebellen seine Burg zur Zerstörung ausliefern müssen, die damit beauftragten Bauern aber taten ihm einen schrecklichen Gefallen. Bei der Niederlegung der Harzburg begnügten sie sich nicht damit, die Mauern zu schleifen.
In einem atavistischen Ausbruch, bei dem dumpf Heidnisches die dünne Kruste christlicher Gesinnung durchbrach, zündeten sie die Burgkapelle an, plünderten den Kirchenschatz, schändeten die Reliquien, brachen die Gräber der königlichen Familie auf und zertraten mit ihren Stiefeln die Gebeine.
Es war ein Frevel nicht nur gegen den König, sondern gegen die Obrigkeit schlechthin, und die Fürsten begriffen, welche Saat hier gesät wurde. Nie waren sie sich schneller einig als in dem Augenblick, da das Volk aufbegehrte. Sie drängten dem König die bis dahin verwehrten Soldaten geradezu auf. Die Sachsen wurden in einer blutigen Schlacht an der Unstrut zur Kapitulation gezwungen, wobei man die einfachen Soldaten abschlachtete "wie gemeines Vieh". Ihre Führer, darunter eine Anzahl von Bischöfen und der Herzog von Northeim, kamen in Gefangenschaft.
Als Heinrich 1075 in Goslar [Goslar war die Lieblingsresidenz Heinrichs IV., hier verbrachte er die meiste Zeit] das Weihnachtsfest beging, feierte er nach langen Jahren der Not den ersten Triumph. Seine Gegner lagen im Staub, ihre Güter waren beschlagnahmt, Sachsen gehorchte wieder der Krone, die Fürsten huldigten ihm, und, was für das salische Haus am wichtigsten war, sie waren bereit, Sohn Konrad, der noch in den Windeln lag, als Thronerben anzuerkennen.
"Ich sehe die Morgenröte", sagte er damals. Wie konnte er ahnen, dass sie nicht den Morgen verkündete..."
So, und nächstes Mal kommen wir zu dem Konflikt, der Heinrich IV. seine welthistorische Bedeutung verleihen wird: Der Kampf zwischen Kaiser und Papst.
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08.07.2004 21:14
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_TylerDurden_
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Gibt es weitere Quellen über die Königsgemahlin Bertha? Ich stelle sie mir häßlich/dumm/fett und mit schiefen Zähnen vor, dass Heinrich beim Gedanken an ehelichen Verkehr das Grauen packt. Oder lag es daran, dass sie gemeinsam aufgezogen wurden? Wäre ja, als würde man die eigene Schwester heiraten. *brrr*
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08.07.2004 21:18
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MorgothderGrosse
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"Ich stelle sie mir häßlich/dumm/fett und mit schiefen Zähnen vor"
Das könnte durchaus sein-aber ein mittelalterlicher Chronist hätte sich niemals getraut, das zu schreiben . In der Geschichtsschreibung dieser Zeit war es extrem selten, ein Mitglied des Hochadels zu direkt zu verunglimpfen. Aber irgendwelche Gründe wird es gewiss gehabt haben, dass Heinrich sich so geekelt hat.
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08.07.2004 21:36
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_TylerDurden_
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Da schon von den Windeln seines Sohnes Konrad die Rede war, hat er aber zumindest diese Hürde genommen. Was tut ein König nicht alles für sein Land. *Respektzoll*
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09.07.2004 16:02
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MorgothderGrosse
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So, weiter geht´s mit Heinrich IV.:
"Hildebrand, der kleine hässliche Mönch, der dem königlichen Kind damals die Treue geschworen, hatte inzwischen eine atemberaubende Karriere durchlaufen und war dabei, die politische Landschaft des europäischen Kontinents umzugestalten.
Dem noch vom dritten Heinrich abgesetzten Papst Gregor Vi. war er ins Exil nach Köln gefolgt, hatte hier Augen und Ohren offengehalten und die deutschen Verhältnisse so sorgfältig studiert, als wüsste er, wie sehr ihm diese Kenntnisse einstmals nützen würden. Mit dem sicheren Instinkt des Mannes, der zur rechten Zeit das Rechte tut, war er im Gefolge des neuen Papstes Leo IX. in Rom aufgetaucht und prompt zum Leiter der "Gedlverhältnisse" des Apostolischen Stuhles ernannt worden.
Die Verwaltung der Gelder ist eine Schlüsselstellung, die von jeher aus den Finanzministern besonders wichtige Minister gemacht hat. Nicht anders in Rom, einer Stadt, die nicht nur religiöse, sondern auch finanzielle Metropole des Abendlandes war. Hierhin flossen die sich zu Riesensummen addierenden Peterspfennige aus den Ländern des Nordens und Ostens, häuften sich auf den Altären die Gaben der Pilger, kassierte die Kurie die Geschenke der Großen, nahm man Millionen durch den Reliquienhandel ein, wurden Grundstücke, Landgüter und ganze Provinzen gehandelt, Geld zum Wucherzins verliehen.
Wer dieser Weltbank vorstand, besaß einen ungeheuren Einfluss, und Hildebrand hat das erkannt und Gebrauch davon gemacht. Als die Tiara von Benedikt an Gregor verkauft wurde, war er als Vermittler der jüdischen Bankiersfamilie Pierleoni tätig gewesen. Kein schönes Geschäft, doch nicht so anrüchig, wie es den Anschein hat, denn die von idealen Zielen erfüllte Reformpartei wollte die Macht, um die korrupten Reformgegner zu entmachten. Dass der Mann, der den Ämterkauf am schärfsten bekämpfte, mit einem besonders krassen Akt der Simonie seine Laufbahn begann, gehört allerdings zu den Treppenwitzen der Geschichte.
Der Mönch Hildebrand war in den Anfangsjahren niemandem ein Begriff, und wer ihn nur flüchtig kannte, wusste nicht einmal, was er eigentlich tat. Das jedoch war die Rolle, die der äußerlich so unscheinbare Mann am liebsten spielte: die der Grauen Eminenz, des Mannes, der aus den Kulissen heraus die Stichworte gab und es nicht zuließ, dass jemand ohne sein Einverständnis agierte. Bald zitierte man am Tiber, halb seufzend, halb respektvoll, den Zweizeiler, den der Bischof von Ostia in Umlauf gebracht hatte: "Willst du leben in Rom, so bekenne mit schallender Stimme: Mehr noch als den Papst ehr´ ich den Herrn überm Papst." Und der war nicht der liebe Gott.
Mit welchen Mitteln er sich seine Machtposition aufbaute, stets daran denkend, dass nur der Erfolg entscheidet, und keiner danach fragt, wenn er errungen, wie er errungen, das könnte aus den Büchern Machiavellis stammen.
Mit Victor II. hat sich Hildebrand noch einen Papst von kaiserlichen Gnaden gefallen lassen, wohl wissend, dass es noch zu früh sei, gegen die Macht am Rhein zu rebellieren. Er selbst hatte als Subdiakon die Delegation nach Deutschland geführt, um dort einen neuen Papst zu erbitten. Bei der Erhebung des nächsten Papstes "vergaß" er, dass es ein Gesetz gab, wonach dem Kaiser das Wahlrecht zustand, und erklärte sich lediglich dazu bereit, die Regentin Agnes zu informieren. Bereits Nicolaus II. war so sehr sein Geschöpf, dass man ihn als den Esel bezeichnete, der im Lateran von Hildebrand gefüttert werde wie in einem Stall.
Nicolaus II. wurde als erstem Papst eine Mithra aufgesetzt, die zwei Reifen hatte statt wie bisher nur einen, eine Doppelkrone, die die deutsche Kaiserkrone nicht nur vom Äußerden her in den Schatten stellen sollte; sie symbolisierte augenfällig, dass der Papst von nun an dem Kaiser übergeordnet sein sollte. Schauplatz war die Lateransynode des Jahres 1059, eine Kirchenversammlung, die sich nicht mit dieser Demonstration begnügte, sondern verkündete, dass das Recht, den Papst zu wählen, in Zukunft allein dem Kardinalskollegium zustehe.
Damit war die rrömische Adelsclique ausgeschaltet, die den Stuhl Petri in der Vergangenheit oft genug in bösen Verruf gebracht hatte. Aber auch der deutsche Kaiser! Zwar gedachte man seiner noch in einigen diffusen Worten und billigte ihm eine Art Ehrenrecht zu, was aber in der Praxis kaum von Bedeutung war. Man glaubte, sich diese Brüskierung leisten zu können, bestand doch kaum Gefahr, dass über die Alpen jenes Heer gezogen kam, dessen Argumente bisher noch jeden überzeugt hatten.
Deutschlands König war ein Kind und seine Mutter unfähig zur Regentschaft. Als Nicolaus II. starb, raffte sie sich, gedrängt von den traditionell reichstreuen Bischöfen Oberitaliens, zu Gegenmaßnahmen auf, indem sie ihre Zustimmung zur Erhebung eines eigenen Papstes gab, Honorius mit Namen. Hildebrand war ihr allerdings mit seinem Favoriten Alexander zuvorgekommen, was Honorius zum bloßen Gegenpapst degradierte.
Honorius nahm ein klägliches Ende. Ihm ging das Geld aus und damit die Soldaten. Seine römischen Geldgeber vom Stadtadel wollten ihn in der Engelsburg so lange gefangenhalten, bis er seine Schulden bezahlt hatte-doch im letzten Moment gelang es ihm zu flüchten. Er wurde schmählich fallengelassen zugunsten seines Gegners Alexander, dm man in Mantua auf einer Synode Gelegenheit gab, jeden Eid zu leisten, dass bei seiner Erhebung alles Rechtens gewesen, er deshalb auch der rechtmäßige Papst sei. Ein Schauspiel das Ganze, zu dem einzigen Zweck inszeniert, den Deutschen Gelegenheit zu geben, ihr Gesicht zu wahren und mit Anstand aus der Affaire herauszukommen."
Soweit der Überblick über die Lage im Vatikan vor Heinrichs IV. Mündigwerdung. Doch nun war Heinrich IV. regierender König-und Hildebrand sollte Papst werden. Wie der Kampf dieser erbitterten Feinde, dieser Kampf der Titanen, ausgehen wird, das nächste mal.
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10.07.2004 19:54
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MorgothderGrosse
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So, und weiter geht es mit Heinrich IV. Zunächst ein kleiner Überblick, wie Hildebrand, der kleine Mönch und Papstmacher, dem Vatikan eine Machtbasis schuf, die es ihm ermöglichte, einen Konflikt mit dem König zu beginnen:
"Im reichen Mailand zum Beispiel verbündeten sich die Reformer mit der Pataria, dem Lumpenpack, so genannt, weil sie aus jenem Viertel der Stadt kam, wo der Trödelmarkt lag. Ein Schimpfname, der bald zum Ehrennamen wurde. Den Reformern und ihren Agitatoren ging es um die Beseitigung jener unheilvollen Formel, wonach Klerus gleich Adel gleich Reichtum sein müsse. Die heilige Speise, die die unwürdigen Priester beim Abendmahl reichten, sei Hundemist, eiferten die Mönche, ihre Kirchen ähnelten Viehställen, ihre Paläste seien Bordelle, ihr Reichtum dem Volk abgepresst. Und das Volk ließ es sich nicht zweimal sagen. Die Häuser der Geistlichen wurden geplündert, ihre Gottesdienste gestört, ihre Frauen verjagt, sie selbst misshandelt.
So unter den Druck der Straße gesetzt, blieb dem mailändischen Klerus nur die Kapitulation. Die Geistlichen wurden erst wieder neu geweiht, nachdem sie Besserung gelobt und sich einer strengen Buße unterworfen hatten. Hildebrand hatte gesiegt, nicht nur auf kirchlichem Gebiet, sondern auch auf dem politischen. Mailand war die mächtigste Stadt der zu Deutschland gehörigen Lombardei, ihr Erzbischof seit alters ein treuer Sachwalter deutscher Interessen. Damit war es nun aus. Eine Bastion des Reiches war gefallen.
Auch in Mittelitalien hatte die Kurie durch kluge Politik sich einen wichtigen Verbündeten geschafft. Herzog Gottfried von Lothringen, den man "den Gebarteten" nannte, war durch die Heirat mit Beatrix von Toskana zum absoluten Herrn dieses Gebietes geworden. Der Bärtige personifizierte den Typ des Landesfürsten in Reinkultur. Er war traditionell reichsfeindlich, die Nation galt ihm nichts, geübt in den Waffen, erschien ihm die blutigste Schlacht ein Fest der Freude. Die Priester, die er ernannte, lebten mit Konkubinen und zahlten für ihre Ämter. Seine Frau entstammte der eigenen Verwandtschaft, aber darüber sah man großzügig hinweg.
Seine Stieftochter Mathilde wurde später zur stärksten Stütze Hildebrands, den sie wie viele Frauen anbetete wie einen Gott und umschwärmte wie einen Liebhaber.
Die beiden anderen Bundesgenossen des Mönchs Hildebrand waren, was ihre moralischen Qualitäten betraf, nicht viel besser, aber Moral war damals so wenig wie heute ein Maßstab der Politik. Die beiden hießen Richard von Aversa und Robert Guiscard, blonde Bestien vom Stamme der Normannen, die sich jedem verkaufte, wenn er nur genug zu bieten hatte. Hildebrand hatte...
Zwar war Richard noch im Kirchenbann, wegen einiger dreister Übergriffe auf päpstlichen Besitz, aber das kleine Malheur ließ sich beseitigen, indem man ihm das ließ, was er sich genommen, und ihm noch einiges dazuschenkte.
Richard bekam Capua, Robert Apulien, Kalabrien und Sizilien. Es waren merkwürdige Geschenke-die zu Lehen gegebenen Länder mussten nämlich erst einmal erobert werden. Überall saßen Byzantiner, Sizilien war sogar fest in der Hand der Araber. Die Normannen waren trotzdem zufrieden und zu Gegenleistungen bereit, die unverhältnismäßig schienen.
Auf einer Synode in der apulischen Stadt Melfi gelobten sie mit der üblichen Feierlichkeit, die römische Kirche gegen jeglichen Feind und an jeglichem Ort zu schützen, Zins zu zahlen und dafür zu sorgen, dass jeder neue Papst ein Papst "im Sinne und zu Ehren des heiligen Petrus" sei. Das hieß: ein vom Kardinalkollegium bestimmter."
So gerüstet, kann Hildebrand, der Fädenzieher im Vatikan, die Auseinandersetzung mit Heinrich IV. wagen, um den Einfluss des Kaisers aus der Kirche zu verbannen:
"Bischöfe wurden in Rom geschulmeistert, als seien sie Klosterschüler, mussten Abbitte tun, Buße leisten und den päpstlichen Richterspruch widerspruchslos hinnehmen. Selbst Erzbischöfe vom Format eines Liemar von Bremen, eines Siegfried von Mainz, ja eines Anno von Köln machten sich auf den langen, beschwerlichen Weg über die Alpen, um sich strafen zu lassen.
Planmäßig wurde so die Autorität des Kaisers im Innern ausgehöhlt, und ebenso planmäßig versuchte man, das Reich auf außenpolitischem Gebiet zu schwächen. In Frankreich beutete die Kurie die trsditionelle Feindschaft gegen die mächtigen Nachbarn östlich des Rheins aus. In Ungarn unterstützte sie eine reichsfeindlich Partei. Und überall beanspruchte sie die Lehnshoheit.
Die Lager waren abgesteckt, die Vorbereitungen perfekt, und doch zögerte die Kurie, den entscheidenden Schritt zu tun zu der unausweichlichen Auseinandersetzung. Der Respekt vor dem Kaisertum war groß: vor seiner Tradition, seiner Strahlkraft, seinem immer noch vorhandenen Prestige."
Doch nun geschieht das Entscheidende: Hildebrand, der kleine Mönch, der sich bisland damit begnügt hatte, Schattenpäpste durchzusetzen, besteigt selbst den Stuhl Petri:
"Was am 22.April 1073 in Rom geschah, haben die Historiker einen Akt von welhistorischer Bedeutung genannt.
Alexander [Einer von Hildebrands Schattenpäpsten] hatte das Zeitliche gesegnet. In der Laterankirche ist man damit beschäftigt, die Leiche des Papstes in die Gruft zu senken, die feierliche Stille wird jäh gestört durch vereinzelte Rufe, dann tönt es im Chor aus der Schar der Trauernden, unter ihnen überraschend viele Frauen: "Gregorium papam sanctus Petrus elegit!-Der heilige Petrus hat den Papst Gregor erwählt!" Sie umringen einen Mann, schleppen ihn, der sich heftig sträubt, zur bischöflichen Kathedra, schreien immer wieder, wie vom Wahnsinn ergriffen: "Gregor sei Papst! Gregor sei Papst!"
Es ist der Archidiakon Hildebrand, der hier zu seinem Glück gezwungen wird, und das Volk weiß wunderbarerweise, dass für ihn nur der Name Gregor in Frage kommt. Der Erwählte wehrt sich schließlich nicht mehr gegen seine Wahl."
Hildebrand ist nun Papst Gregor VII. Hier Gregor VII. in einer mittelalterlichen Handschrift:

Und hier eine mittelalterliche Handschrift, die vereinfacht Gregors VII. Leben und seinen Kampf mit dem Kaiser zeigt:

Fischer-Fabian fährt nun fort mit einer kurzen Beschreibung dieses fanatischen Reformpapstes:
"53 Jahre war er jetzt alt, doch von Gebrechlichkeit keine Spur, alles an ihm war Wille, Kraft, Leidenschaft; die brennenden Augen im bleichen Gesicht zeugten Fanatismus, ein Mann von ungeheuren Gegensätzen: hässlich und charmant, warmherzig und eiskalt, so sentimental, dass er beim Messopfer weinte, so erbarmungslos, dass er vor Folterungen seiner Feinde nicht zurückschreckte.
Kindern war er unheimlich, die Frauen liebten ihn abgöttisch trotz seiner Hässlichkeit, er wollte den Frieden und verfluchte den, "der sich scheut, das Schwert in Blut zu tauchen"; erfüllt von dem Wort Gerechtigkeit, galt ihm das Recht wenig, er war von vielen Menschen umgeben und zutiefst einsam, er wurde viel geliebt und am meisten gehasst, er predigte die Liebe und verachtete die Menschen. Doch was auch seine Gegner ihm vorwarfen, ihm, den sie den heiligen Satan nannten, in einem waren sie sich einig: dass er inbrünstig an das glaubte, wofür er stritt, und zutiefst davon durchdrungen war, Gott zu seinem Recht auf Erden zu verhelfen."
Dieser vielleicht faszinierendste aller Päpste begann nun seine Auseinandersetzung mit Heinrich IV., dem mächtigsten Herrscher des Abendlandes:
"Dem jetzt 23jährigen deutschen König war Gregor VII. anfangs durchaus zugetan. Er betrachtete ihn, dessen Vater er verehrt hatte, als einen Verführten, dem man nur die Augen öffnen musste, damit er den Weg der väterlichen Tugenden zurückfinde. Er übersandte huldvolle Schreiben, schickte seine Legaten zu Freundschaftsbesuchen nach Deutschland, bat sogar um formelle Anerkennung seiner Erhebung zum pontifex maximus und fühlte sich in seinem Verhalten bestätigt, als sie trotz des Widerstands der deutschen Bischöfe prompt erfolgte, ja sogar ein Brief eintraf, in dem sich Heinrich IV. zerknirscht gab.
Heinrich IV. jedoch hatte nichts anderes im Sinn, als die Zeit zu gewinnen, die er brauchte, um mit den Sachsen fertig zu werden. Wenn er etwas mit Perfektion beherrschte, so war es die Kunst, sich zu verstellen, hinter scheinbarer Demut die wahre Absicht zu verbergen. Diese Lektion hatte er in seiner Jugend gründlich lernen müssen. Es gelang ihm, Gregor VII., den man den Meister der Politik nennt, auf seinem ureigenen Gebiet zu schlagen und ihn perfekt zu täuschen. Mit boshaftem Vergnügen las er, was ihm seine Geheimagenten berichteten: noch nie, so habe sich Gregor VII. gebrüstet, sei sin solch untertäniger Brief-"voll Süßigkeit und Gehorsam"-von einem deutschen König an einen Papst geschrieben worden.
Kaum war der Sieg über die Sachsen errungen, begann Heinrich IV. nach der bei Politikern so beliebten Maxime zu handeln, wonach man sich um das Geschwätz von gestern nicht zu kümmern brauche. Von Unterwerfung war jetzt nicht mehr die Rede. Er machte jede Anstrengung, um Gregors Bündnis aufzuspalten.
Auf den "gebarteten" war der "bucklige" Gottfried gefolgt, der aus der Toskana vor seiner bigotten Frau Mathilde hatte fliehen müssen. Ihn nahm Heinrich IV. auf. Er schickte Unterhändler zu den Normannen, den ewig ungebärdigen Kindern der Barabrei, die sich mit dem Papst überworfen, weil sie auf ihren Eroberungszügen wieder einmal mein und dein verwechselt hatten. In bewusster Provokation setzte er in ganz Italien reichstreue Bischöfe ein. Und er machte Anstrengungen, ein Heer auszurüsten für den längst fälligen Zug nach Italien, um den rebellischen Papst Mores zu lehren und sich die Kaiserkrone zu holen. Populäre Maßnahmen, hinter denen, wenn nicht Deutschlands Fürsten, so doch Deutschlands Kirchenfürsten einmütig standen, die über Rom seit langem empört waren.
Heinrich IV. hatte plötzlich, was niemand je vermutet, die Trümpfe in der Hand und war bereit, sie auszupielen. Doch sosehr Gregor VII. ihn anfangs unterschätzte, sosehr unterschätzte er jetzt Gregor. Er erkannte nicht, dass der Papst in der Frage der Laieninvestitur nicht nachgeben durfte, wollte er sein Ziel erreichen: die Herrschaft der von Gott gewollten Kirche über die Welt. Und er war nicht Menschenkenner genug, um zu sehen, dass bei diesem Papst der Fanatismus stärker war als das politische Kalkül."
Wie der Konflikt zwischen Kaiser und Papst eskaliert, in offenem, blutigen Krieg und der Zerstörung Roms mündet-das und mehr das nächste mal.
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10.07.2004 20:16
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MorgothderGrosse
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