Morgoth liest die Geschichte der deutschen Kaiser


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Post 11.06.2004 10:02 Post
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Kaylee



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MorgothderGrosse schrieb:
Dem kleinen Haufen Gewappneter auf dem linken Ufer (man spricht von kaum hundert an der Zahl) gelang es durch Kriegslist, die Übermacht zu zersprengen, wobei Bruder Heinrich einen Hieb kassierte, an dessen Folgen er sein ganzes Leben lang zu leiden hatte.


Welche Kriegslist war das denn, ist das bekannt?! Hatten sie eine Art Odysseus in ihren Reihen?!


Wievielmal kann ein Königsbruder sich denn so unterwerfen, bis ihm nicht mehr verziehen wird? Kommt mir ein bisschen so vor, wie in einem comic, wo der Gegenspieler nie wirklich vernichtet wird, damit das spannende Spiel weitergehen kann....
Blieb Otto bei diesen Querelen überhaupt noch Zeit zu regieren? Was waren denn seine staatsfördernden Ambitionen oder Leistungen...?! Oder hab ich das mal wieder überlesen?

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Post 11.06.2004 10:48 Post
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MorgothderGrosse



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@Kaylee. Zumindest habe ich noch nix Näheres dazu gefunden, irgendwie scheinen sie es geschafft zu haben, sich einfach durchzuhauen.
In der Tat hat Otto in den ersten Jahren seiner Regierung praktisch nichts anderes gemacht, als gegen seine Brüder und rebellische Herzöge zu kämpfen. Deswegen kommen seine großen politischen und militörischen Taten erst nach der Unterwerfung Heinrichs-heut fange ich damit mal wieder an .
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Post 11.06.2004 11:53 Post
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MorgothderGrosse



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Weiter mit Otto und seinen ersten großen Taten:

"Im Jahre 951 kam es in Como am Comer See zu einem politischen Zwischenfall, der so skandalträchtig war, dass er im Nu in aller Munde war. Rompilger brachten die Neuigkeit auf ihrem Heimweg über die Alpen nach Deutschland, wo sie sich wie ein Lauffeuer verbreitete. Denn alle Details waren dazu angetan, die Gemüter zu bewegen, Zorn und Mitleid zu entfachen. Noch dazu, da die Heldin eine Frau war. Eine Frau von Jugend und Schönheit, von hohem Adel und zum Überfluss auch noch mit dem in Deutschland regierenden Geschlecht verwandt. Ihr, Adelheid, so hieß sie, galt das Mitleid. Der Zorn wandte sich gegen ein "welsches Pärchen" namens Berengar und Willa, deren bösartige Verschlagenheit sprichwörtlich war."

Was war geschehen? Nach dem Erlöschen der karolnigischen Herrschaft hatte sich das Mittel-und Norditalien umfassende Königreich Italien gebildet, und 949 wurde ein Adliger namens Lothar zum König dieses Reiches, Adelheid war seine Gemahlin. Schon 951 aber starb Lothar, vermutlich von seinem Rivalen, dem Markgrafen Berengar, ermordet. Berengar ließ sich sofort zum König Italiens krönen. Doch störte ihn noch Adelheid, die Witwe des toten Vorgängers:

"Berengar entschloss sich zur Tat. Adelheid wurde ergriffen, ihrer persönlichen Habe und ihres Schmucks beraubt und in den Kerker geworfen. Man riss ihr die Haare aus, "und beschimpfte mit Schlägen und Fußtritten den königlichen Leib". Was nun folgte, erinnert an die Lieder und Legenden der Fahrenden, aber diese Lieder hätten schwerlich so bunt sein können, wenn nicht das Leben ihnen die Farben geliefert hätte.
Adelheid kam von Como auf das unzugängliche Bergschloss Garda, wo sie in das Turmverlies gesperrt wurde. Eine Flucht schien ausgeschlossen. Sie bewies bald, dass sie nicht nur schön war, sondern auch andere Tugenden besaß: weibliche List und Raffinesse. Die Stunden, die man ihr zum Atemschöpfen auf dem Söller gewährte, benutzte sie, jeden Winkel der Burganlage mit den Augen zu erforschen.. Zusammen mit dem Pater und der Dienerin, die ihr in die Gefangenschaft gefolgt war, schmiedete sie Fluchtpläne und wartete auf ein Zeichen von außen. Ihre Anhänger, davon schien sie überzeugt, würden sie nicht vergessen haben."

Und in der Tat: Ein Unterstützer Adelheids legte mit gehacktem Holz das Wort "Grabet" zusammen. Adelheid begann, in ihrem Kerker zu graben und stieß tatsächlich auf den alten Fluchttunnel der Burg. Adelheid gelingt die Flucht, sie schafft es, Kontakt zu Otto, ihrem Verwandten azufzunehmen. Sehen wir, was geschieht:

"Anfang September ging Otto mit einem starken Heer über den Brenner nach Italien. Um, wie es in der offiziellen Sprachregelung hieß, "einer unserem Hause nahestenden edlen Frau in ihrer Not beizustehen". Gewiss war dieses Gefühl ritterlicher Noblesse auch ein Moment, doch keineswegs der Hauptgrund seines Alpenübergangs. Entscheidend waren handfeste politische Gründe, die sich naturgemäß wesentlich schlechter verkaufen ließen als die Mär vom edlen Ritter-hier gleichen sich die Zeiten.
Wer Kaiser werden wollte, und das war nach wie vor Ottos Ziel, musste, nach dem Vorbild Karls des Großen, erst König von Italien sein. Diese Krone war im Augenblick leicht zu erringen: durch Heirat. Gemäß dem Dichterwort: "Mars mehre anderen das Reich, die aber vergrößere es Venus."

Otto war Witwer, seit seine erste Frau Editha fünf Jahre zuvor gestorben war. Es bot sich also die perfekte Gelegenheit, durch eine Heirat mit Adelheid die Krone Italiens zu bekommen. Weiter:

"Der Witwer und die Witwe trafen sich zum erstenmal in Pavia, der Hautstadt des italienischen Königreiches. Wenn die Chronisten berichten, dass sein Herz bei ihrem Anblick in Liebe entbrannt sei, so mag das stimmen. Adelheid hatte auf der ihr zugewiesenen Burg Canossa (Vor deren Toren später ein deutsche Kaiser um Lösung vom Bann flehen sollte) ihre Gesundheit wiedererlangt. Und mit der Gesundheit ihre Schönheit. Der untersetzte Deutsche mit dem altväterlichen Vollbart und dem langen sächsischen Rock, der nicht mehr Mode war, schien ihr gewiss todfremd, auch war er fast doppelt so alt wie sie, aber er war die Rettung."

Durch diese Heirat also wurde Otto nun zum Herrscher über ein Gebiet, das sich von Lothringen bis zur Elbe und von Friesland bis kurz vor Rom erstreckte. Hier beginnt die Italienpolitik der deutschen Kaiser, die sich durch das ganze Mittelalter hindurchziehen sollte.
Doch nicht alles lief perfekt auf Ottos erstem Italienzug:

"Vor allem lebte Berengar noch, der dem überlegenen deutschen Heer ausgewichen war und sich auf die uneinnehmbare Apenninenfestung San Marino zurückgezogen hatte, wo er auf seine Stunde wartete.
Was die Hochzeitsfreude Ottos jedoch stärker trübte, war die kühle Absage, die er sich aus Rom holte. Der Papst war eine Marionette in den Händen eines mächtigen Senators, der sich alles andere wünschte als ausgerechnet einen Deutschen zum Kaiser. Otto war über die gescheiterten Verhandlungen so verärgert, dass er den Leiter der Mission, den Erzbischof Friedrich von Mainz, in Ungnade fallen ließ. Womit er sich einen neuen Feind schaffte."

Noch ein Wort zu Rom: Rom wurde beherrscht von einigen wenigen Adelsfamilien, und der Senat war um Grunde zu einer Art Stadtverwaltung der geschrumpften und verfallenen Stadt Rom geworden.

Und hier noch ein Bild des sogenannten Otto-Adelheid-Pfennigs, eine von Otto zum Anlass seiner Hochzeit geschlagene Münze:


Und hier die unter Otto erbaute Stiftskirche St.Cyriakus in Gernrode von außen:


und von innen:

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Post 11.06.2004 19:40 Post
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Kaylee



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Wooow...DAS ist doch mal eine Geschichte nach meinem Geschmack! *smileeee*

Zitat:
MorgothderGrosse schrieb:
Doch nicht alles lief perfekt auf Ottos erstem Italienzug:

"Vor allem lebte Berengar noch, der dem überlegenen deutschen Heer ausgewichen war und sich auf die uneinnehmbare Apenninenfestung San Marino zurückgezogen hatte, wo er auf seine Stunde wartete."


aber verstehe ich das richtig, es war nicht etwa ein Italien-Feldzug?! Otto musste keine Schlacht gewinnen, nur Adelheid...?! Wer die Dame hatte, war Kaiser? Nehme mal an Berengar war zu seinem Pech schon verheiratet!?
Wer musste denn ansonsten noch zur Kaiserkrönung zustimmen...!?

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Post 11.06.2004 20:08 Post
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MorgothderGrosse



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@Kaylee. Ein paar Gefechte mit Berengars Truppen (Der schon mit Willa verheiratet war) gab es schon, aber er hat ziemlich rasch erkannt, dass er gegen Otto keine Chance hat und sich zurückgezogen. Zum Kaiser konnte er nur durch die Salbung des Papstes werden. Um aber zum Kaiser gesalbt werden zu können, musste er vorher die Königskrone Italiens gewinnen. Und durch die Heirat mit der Königswitwe Adelheid hat er das erreicht. Der Papst aber verweigerte ihm trotzdem die Papstkrone.
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Post 11.06.2004 20:27 Post
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MorgothderGrosse



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Nachdem es Erzbischof Friedrich von Mainz es nicht geschafft hatte, den Papst zu einer Krönung Ottos zum Kaiser zu bewegen, fiel er in Ungnade. Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten:

"Friedrich, nie ein besonderer Freund der Krone, nahm grußlos seinen Abschied und zog nach Deutschland, ins thüringische Saalfeld, wo er andere Unzufriedene und Zukurzgekommene um sich scharte. Darunter einen höchst Prominenten: Liudolf, des Königs geliebten Sohn, der sich aber nicht mehr geliebt fühlte, seitdem sein Vater wieder geheiratet hatte. Zwar war er offiziell zum Thronfolger auserkoren, was aber, so fragte er sich, würde geschehen, wenn Stiefmutter Adelheid einen Sohn zur Welt brächte? Onkel Heinrich, des Königs Bruder, den er hasste wie die schwarze Pest, hatte in Pavia diesbezüglich immer wieder gestichelt, gehetzt, intrigiert. Auch bei seinem Vater besaß der Kronprinz keinen Kredit mehr, weil er ohne Befehl nach Italien vorausgeeilt war, was zu einem Fiasko geführt hatte.
Zu Liudolf stieß ein weiterer Enttäuschter, Schwager Konrad, der Herzog von Lothringen, wegen seiner roten Haare "der Rote" genannt. Konrad war der Mann von Liudolfs Schwester Liutgard und damit des Königs Schwiegersohn. Der Aufstand, den die beiden Männer entfesselten, war schlimmer als die Geißel des Bürgerkrieges und bitterer als jegliches Unglück. Er verwüstete das Land und verschlang Zehntausende von Menschen. Sein Ziel war es, Liudolf als Mitregenten durchzusetzen, den Einfluss seiner Stiefmutter zu beseitigen, den bösen Heinrich (Ottos Bruder) aus der Umgebung des Monarchen zu verbannen."

Man kann Mitleid haben mit Otto: Erst rebelliert sein Bruder Thankmar, dann rebelliert sein Bruder Heinrich, wird fast von ihm ermordet, und nun erhebt sich sein eigener Sohn gegen ihn. Doch der Aufstand gelang nicht. Es genügt festzuhalten, dass Liudolf und sein Verbündeter Herzog Konrad von Lothringen in wechselvollen Kämpfen von Otto besiegt wurden. Beide verloren ihre Herzogtümer, Liudolf auch das Recht auf die Thronfolge. Doch nun sollte jene Invasion kommen, die das Reich an den Rand des Zusammenbruchs führen sollte und in deren Bekämpfung Otto sich den Beinamen "der Große" verdiente: Die Ungarn, das wilde, heidnische Nomadenvolk, das Mittel-und Westeuropa seit über fünfzig Jahren tyrannisierte, waren in Anmarsch. Doch dazu mehr beim nächsten mal.

Und hier ein Bild, wie man sich einen ungepanzerten ungarischen Soldaten im zehnten Jahrhundert vorstellt (Im Kampf kam noch ein Lederschild und ein Lederpanzer dazu):

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Post 13.06.2004 02:00 Post
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MorgothderGrosse



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DIE UNGARN KOMMEN!

So, jetzt folgt die Schilderung der vielleicht gewaltigsten und blutigsten Schlacht, die je im deutschen Mittelalter stattfand. Seit Jahrzehnten suchten die Ungarn in dauernden Raubzügen ganz Europa heim, stießen bisweilen gar bis zur Loire und zum Antlantik vor. Nun, im Jahre 955, bewegt sich ein riesiges ungarisches Reiterheer in Richtung Bayern. Wird Otto es schaffen? Das alles in wenigen Minuten.
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Post 13.06.2004 03:04 Post
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MorgothderGrosse



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"Was war das für ein Volk, das die Freiheit der Deutschen bedrohte? So dass die bloße Erwähnung seines Namens Menschen ein Kreuz schlagen und an das Vaterunser den Satz anhängen ließ:"...auch befreie uns von den Pfeilen der Ungarn, o Herr"-"de sagittis Hungarorum libera nos, domine!"
Wenn der brandrote Himmel im Osten das Nahen der apokalyptischen Steppenreiter ankündigte, verbreitete sich Weltuntergangsstimmung. Alles verließ in panischer Angst Haus und Hof, hastete in die aus Erdwällen angelegten, nur notdürftigen Schutz gewährenden Fluchtburgen oder einfach in die Kirchen.
Reiternomaden waren die Ungarn. Ursprünglich am Ural beheimatet, zogen sie in das Gebiet der unteren Donau, aus dem sie die Slawen vertrieben, weil sie hier für ihre Herden ideale Bedingungen fanden. Als Bewohner der Steppe waren sie an einen Lebenskampf gewöhnt, der sie täglich aufs äußerste forderte. Sie befanden sich in einem permanenten Kriegszustand, der ihre Tugenden-Kampflust, Vitalität und Todesmut-nicht verkümmern ließ. Zentaurengleich schienen sie mit dem Pferd verwachsen, und dem Pferd verdankten sie ihre militärische Stärke.
Ihre kriegerische Überlegenheit haben die Magyaren, ähnlich wie die Wikinger und Sarazenen, materiell zu nutzen gewusst. Was der Bauer sich mit Schweiß erarbeitet, der Händler mit Raffinesse, errangen sie durch Blut. Beutezüge bekamen so den Charakter wirtschaftlicher Unternehmungen, die Beute selbst entsprach der Ernte oder der Verdienstspanne, und nur durch ständiges Beutemachen war der Lebensstandard auf Dauer zu halten."

Und nun zur großen Ungarninvasion:

"Dieser Krieg [Der Krieg zwischen König Otto und seinem Sohn Liudolf] war es, wie erwähnt, der die Ungarn auf den Plan gerufen hatte. Sie überfluteten die Grenzen in nie dagewesener Zahl. Über einhunderttausend wilde Reiter, so wird überliefert, habe man gezählt, nach der sagenhaften Kaiserchronik sogar 128 000; die Magyaren selbst prahlten, dass ihre Scharen niemand besiegen könne, es sei denn, die Erde verschlinge oder der Himmel verschütte sie. Phantastische Übertreibungen, die wir aus den Schlachtenberichten aller Zeiten zur Genüge kennen, dazu bestimmt, das Entsetzen entsetzlicher und den Sieg rühmenswerter zu machen. Statt der einhunderttausend werden es vielleicht zwölf-bis fünfzehntausend Krieger gewesen sein, denen auf deutscher Seite acht-bis zehntausend gegenüberstanden. Da es sich fast ausschließlich um Berittene handelte, vermag selbst bei derart reduzierten Zahlen die Phantasie sich kaum auszumalen, welch Inferno ein solcher Zusammenprall von Mann und Ross und Rüstung bedeutete.
Otto gelang es in etwa vier Wochen, sein Heer zu sammeln, was als außerordentliche organisatorische Leistung galt. Wohl zu Recht, bedenkt man, welche Strecken allein die reitenden Boten vom Königshof in Magdeburg zu den Gebieten der Franken, Schwaben, Bayern und Böhmen zurücklegen mussten, um die Stammesaufgebote zu alarmieren. Auch die Hiobsbotschaft vom Einfall des Feindes war über eine Entfernung von vierhunder Kilometer transportiert worden, wofür selbst die für solche Parforcetouren ausgebildeten Meldereiter sieben bis acht Tage brauchten.
Während dieser Vorbereitungen standen die Ungarn bereits vor Augsburg, einer reichen Stadt, doch schlecht befestigt, mit niedrigen, türmelosen Mauern, schwer gezeichnet noch von der letzten großen Fehde. Sie würden einem Sturm nicht lange standhalten, und die Bürger, die von den Zinnen den Aufmarsch des Feindes beobachteten, ahnten, dass ihnen die Stunden geschlagen hatte. Hoffnungslosigkeit griff um sich, Kleinmut, nackte Verzweiflung. Nur ein Mann war dagegen gefeit: Bischof Ulrich.
Sein Grab in Augsburg ist noch heute Wallfahrtsort und das Kreuz, das er beim Kampf mit sich führte, eine Reliquie.
Ulrich war der einzige, der an dem tag, als die Ungarn kamen, nicht die Nerven verlor. Er ließ Tag und Nacht schanzen, die Bollwerke ausbauen, die Tore verrammeln, Behelfswaffen fertigen. Er sorgte auch fürm die psychologische Aufrüstung: Jede Stunde zogen Nonnen in langen Bittprozessionen durch die Stadt, flehten, wie die in den Straßen knienden Gläubigen, um göttliche Waffenhilfe; Kinder gingen von Tür zu Tür, damit ihr herzzereißendes Weinen alle an ihre Pflicht mahne.
Bei den Gefechten vor den Toren sah man ihn hoch zu Ross, mitten unter den Kämpfenden, gekleidet in seinem bischöflichen Ornat, Helm und Brünne hatte er zurückgewiesen: Das war keine Kraft-und Mutprotzerei, sondern eine bewusste Herausforderung des Schicksals. Überlebte er, so wäre das für alle ein sichtbares Zeichen, dass die gerechte Sache siegen würde.
Ulrich blieb unverletzt, und als die Ungarn im Morgengrauen zum Sturm auf die Mauern ansetzten, ausgerüstet mit Rammböcken und Leitern, war die Moral der Belagerten gefestigt, die der Belagerer aber gesunken, denn ihre Anführer mussten die vorderen Reihen mit der Peitsche antreiben. Mitten im Angriff hinein ertönten plötzlich Hornsignale, und wie ein Spuk lösten sich die Angriffsreihen auf..."

Doch so wundersam war die Sache nicht: Es handelte sich um einen planmäßigen Rückzug, denn ein Verräter namens Berthold, ein bayerischer Graf, hatte den Ungarn von Ottos anrückendem Heer berichtet und sie über seine Angriffsrichtung informiert. Bevor es weitergeht, hier Bischof Ulrichs Portrait an seinem Grab im Augsburger Dom:


Und weiter gehts, zurück zu Ottos Heer:
"Dieses Heer war gerade von seinem Sammelpunkt bei Ulm zum Marsch nach Osten, in Richtung Lechfeld, aufgebrochen, der zwischen den Flüssen Lech und Wertach gelegenen Schotterebene.
Zur euphorischen Stimmung hatte auch der morgendliche Feldgottesdienst beigetragen, eine Zeremonie, die Otto, in Erkenntnis der Tatsache, dass Soldaten nicht nur gute Waffen, sondern auch guten Mut, besonders eindrucksvoll gestaltete. Er hatte sie im Morgendämmern feierlich schwören lassen, dass einer für den anderen sein Leben einsetze, war dann niedergekniet und hatte unter Tränen den Tagesheiligen, St.Laurentius, um Fürbitte bei Christus gebeten.
Sollte ihm der Sieg zufallen, so verspräche er ihm ein eigenes Bistum in der Stadt Merseburg."

Leider haben die Säcke von der Bundeswehr das Lechfeld entsetzlich mit einem Jagdbombergeschwader samt Flugfeld versaut. Aber egal, kommen wir zur großen Schlacht:

"So war das Heer formiert, das man als das erste gesamtdeutsche Aufgebot bezeichnet hat: an der Spitze die Bayern; dann die Franken; dann der König, für den es selbstverständliche Pflicht war, in vorderster Linie zu kämpfen, allerdings mit der Rückversicherung einer aus den besten Kriegern gebildeten Garde, die ihn mit ihren Leibern schützten und bereit waren, für ihn zu sterben; schließlich die Schwaben. Der Schutz des Trosses oblag den verbündeten Böhmen. Die Sachsen hatten wegen eines drohenden Slawensuafstandes zu Hause bleiben müssen.
Die Böhmen waren es, auf die urplötzlich ein Hagel gefiederter Pfeile niederging, abgeschossen von den Ungarn, die in einem gekonnten Manöver den Feind umgangen hatten und nun vond er Flanken und vom Rücken her über ihn hereinbrachen. Mit ihren aus Horn und Holz kunstvoll gefertigten Bogen, die von einer Sehne aus Schafdarm gespannt wurden, trafen sie noch auch zweihundert Schritt. Meistens aber benutzten sie ihre Pfeiler, von denen jeder Krieger ein gutes Dutzend im Köcher hatte, zum Streuschuss, als eine Art leichter Artillerie. Diese Fernwaffe, der der Westen nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen hatte, bahnte häufig die Entscheidung an, und sie schien auch diesmal zu wirken, denn die Verwirrung im Heer war perfekt.
Stürzende Pferde, die ihre Reiter unter sich begruben, die gellenden Schlachtrufe der Magyaren, die auf ihren schnellen kleinen Tieren blitzschnell vorstoßen, wieder zurückweichen, ihre Pfeile abschießen, erneut angreifen, lassen bald die ersten Reihen wanken, ein Rennen, Flüchten setzt ein, schließlich eine Panik, die von den Böhmen auf die Schwaben überspringt, der Tross geht verloren und bald auch die ganze Schlacht, wenn nicht der Rote Konrad erschienen wäre, im selbstmörderischen Einsatz die Ungarn wirft und die Lage wiederherstellt.
Die Voraussetzungen zum geschlossenen Gegenangriff waren gegeben.
Wie er sich entfaltete, lässt an alte Schlachtengemälde denken: König Otto hoch zu Ross, die Heilige Lanze in der Rechten, neben ihm der Bannerträger mit der Reichsfahne, die das Bild des Schwerengels Michael zeigt, Schutzpatron der Deutschen, das Blitzen der Waffen im glühenden Licht des Augusttages, der von den Hufen aufgewirbelte Staub-doch lassen wir uns nicht täuschen: Dahinter stand die "Blutarbeit", der Kampf Mann gegen Mann, die fürchterlichen Wunden, geschlagen von rostigen Schwertern, schartigen Lanzen, von den Widerhaken der Pfeile und den Hufen der Pferde. Das Sanitätswesen war gering entwickelt, die Schwerverwundeten verbluteten, leichter Blessierte zahlten mit lebenslangem Siechtum.
Am Abend des ersten Tages waren die Ungarn zersprengt, aufgerieben, in den Lech getrieben, dessen Wasser sich rot gefärbt haben soll. Wider ihre sonstige Gewohnheit hatten sie eine offene Feldschlacht angenommen und waren der in geschlossenen Formationen angreifenden deutschen Reiterei erlegen. Diese bestand aus sogenannten Panzerreitern: Sie trugen über die Hüften reichenden Lederhemden, auf denen Metallplättchen, Ketten oder Nagelköpfe befestigt waren (die Wohlhabenden konnten sich aus zahllosen kleinen Eisenringen gefertigte Kettenhemden leisten), während Kopf und Hals ein lederner, mit Metall verstärkter Helm bedeckte. Ihre Waffen waren Langschwert, Lanze, Schild und Dolch.
Auch wenn die Panzerreiter noch nicht gerüstet waren wie die Ritter des späten Mittelalters, waren sie doch so schwer, dass sie ein starkknochiges Pferd brauchten. Ross und Reiter entwickelten in der Attacke eine Stoßkraft, die die leichte Reiterei der Ungarn förmlich hinwegfegte. Diese Angriffswucht wäre undenkbar gewesen ohne eine Erfindung, die man dem Nomadenvolk der Sarmaten verdankte: den Steigbügel. In den Bügeln stehend, hatte der Reiter einen festen Halt und war nicht mehr so leicht aus dem Sattel zu heben.
Ein großer Sieg zeichnete sich ab auf dem Lechfeld, und Otto machte ihn größer, als er etwas unternahm, was damals ungewöhnlich war: Er ließ den fliehenden Feind verfolgen und in vielen Einzelgefechten endgültig vernichten. Gefangene wurden nicht gemacht, und wenn, dann nur, um sie wie gemeine Mörder an den Galgen zu hängen.
Auch der Horka Bulcsu wurde nach seiner Gefangennahme kurzerhand aufgeknüpft, eine ruchlose Tat, denn der Magyar war kein Kriegsverbrecher, sondern Fürst und Heerführer wie Otto auch, und doch hatte sie ihren Sinn: den Ungarn daheim sollte demonstriert werden, dass ihre Führer die Gunst der Götter verloren hatten.
Das Massengrab, in das man die Erdrosselten warf, diente als besondere Attraktion: Man zeigte es den fremden Reisenden mit wohligem Schauder, wie auch die Altarkelche und Kreuze, die aus den silbernen Schellen gegossen waren, mit denen die Ungarn ihre Gewänder schmückten."

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Post 17.06.2004 10:47 Post
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pfeifenkrautler
Honk


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Kann das bitte endlich mal jemand verfilmen? Wozu brauch ich Schlachten, die sich ein unterbschäftigter englischer Professor ausgedacht hat, wenn unsere eigene Geschichte davon nur so strotzt?

"Wunder von Bern"..bullshit! Das Lechfeld war ein Wunder! Die Rettung des Abendlandes, nichts weniger.

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Post 17.06.2004 11:01 Post
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Kaylee



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