27.06.2004 10:04
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MorgothderGrosse
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So, und weiter geht es mit Otto III., der gleich nach seiner Mündigwerdung einen Italienzug angetreten hatte:
"Im Frühling des Jahres 996 ritt Otto III., von Ravenna kommend, auf die Stadt Rom zu, deren gigantische Mauern im Morgenlicht vor ihm auftauchten. Er verhielt das Pferd und verharrte mit seiner Begleitung eine Weile in tiefem Schweigen. Er war am Ziel seiner Sehnsucht, doch den Augenblick, dem er so lange entgegengefiebert hatte, fürchtete er jetzt. Würden sich die Träume erfüllen, die er tausendmal geträumt, würde das Wirklichkeit werden, was ihn seine Lehrer in tausend Stunden gelehrt? Es erging dem kaum Sechzehnjährigen wie allen Menschen seines Jahrhunderts: Die dämonische Anzieungskraft dieser Stadt schlug ihn in seinen Bann, und als er später die Porta Flaminia passierte, war er ihr für immer verfallen.
Ein Phänomen, das Ganze, denn was er sah, glich einer gigantischen Wüste, bedeckt mit Steinen, aus denen Steine ragten, bevölkert von den Elenden, die sich in den Trümmern eingenistet hatten wie Troglodyten; bewohnt von den Adligen, die ihre schwarzen Festungstürme in die Ruinen hineingebaut, ein "Rabengeschlecht" von kriegerischen, verschlagenen und gerissenen Oligarchen, eine wilde Brut, die ihre "ewigen, erbitterten Kämofe gegeneinander innerhalb des alten Mauergürtels" führten. Dazu die Klöster und Kirchen, meist auf dem Schutt der alten Tempel errichtet, um die Dämonen zu bannen. Und doch atmete diese gespenstische Ansammlung verfallener Paläste, zerstörter Tempel, gestürzter Säulen, zerborstener Triumphbögen und zerbrochener Statuen etwas Geheimnisvolles, dem sich niemand auf Dauer entziehen konnte."
Dieses Bild des zerfallenen Forum Romanum mag verdeutlichen, wie damals der Großteil Roms aussah:

Und weiter:
"Aber er sah auch die Schafherden in den Thermen und Theatern, die Krautgärten auf dem Marsfeld und Forum, die Paläste, deren Marmor zu Kalk gebrannt wurde, die zu Schweinetrögen gewordenen Sarkophage und die in Ladentische verwandelten Grabsteine.
So sehr den jungen Herrscher die Ewige Stadt auch in Bann schlug, er kam nicht umhin, sich mit den unseligen Pflichten der Politik zu befassen. Nach der Kaiserkrönung durch den Papst tat er das, was jeder deutsche Herrscher nach dem Eintreffen in Rom zu tun pflegte: Er hielt Gerichtstag über den unbotmäßigen Stadtadel und seinen Anführer, der diesmal Johannes Crescentius hieß. Der Römer, der mit seinem Familienclan stilgemäß in den Ruinen antiker Thermen residierte, war ein typischer Vertreter seines Stammes: ahnenstolz, von phantastischem Hochmut, gierig nach Macht und Besitz, dabei erfüllt von fanatischem Freiheitswillen, der es ihm zum Gebot machte, jeden bis aufs Messer zu bekämpfen, der die Stadt Rom, Stätte seiner ruhmreichen Ahnen, zu beherrschen sich anmaßte-ob es nun der Kaiser war oder der Papst. Johannes Crescentius hatte das unbegreifliche Glück, in Rom wohnen bleiben zu dürfen. Als "Privatmann". Ein unverzeihlicher Akt von Milde, wie sich später herausstellen sollte.
Otto verließ Rom bald wieder: rascher als ein Liebhaber je die gerade erst gewonnene Geliebte. Der Grund lag nicht in Enttäuschung oder in politischen Geschäften jenseits der Alpen, er war einfacher und schwerwiegender. Der Kaiser ergriff die Flucht vor einem Feind, dem niemand gewachsen war, der schon Zehntausende von Opfern gefordert, ganze Landstriche verwüstet und immer wieder Schlachten entschied: der Malaria.
Man glaubte, dass aus den Sümpfen aufsteigende Gase jene Krnakheit verursachten, die das Blut verdünnen, die Milz anschwellen lassen, höllisches Fieber und eisigen Schüttelfrost erzeugen, um schließlich den Tod zu bringen.
Die Umgebung Roms zählte jahrhundertelang zu den klassischen Malariagebieten, weil überschwemmte Flußufer, Sümpfe, Teiche, Tümpel ideale Brutstätten boten.
Otto III. verließ das fieberverseuchte Gebiet rechtzeitig, zu Anfang Juni, und reiste über Pavia und den Comer See nach Deutschland zurück, wo er sich im Glanze seiner neuen kaiserlichen Würde zeigte. Das Volk empfing ihn freudig, die Großen mit einer Hochachtung, in die sich Erstaunen mischte. Der junge Mann schien mit dem Königsheil gesegnet zu sein. Er hatte Rom ohne einen Schwertsreich genommen, das Kaisertum glanzvoll wiederhergestellt und einen Mann zum Stellvertreter Christ gemacht, mit dem ihn Verwandtschaft verband; er hatte den Papst zum Vetter [Dieser von Otto III. eingesetzte Vetter war übrigens der erste deutsche Papt].
Der römische Frühling des dritten Otto zeitigte noch andere Ergebnisse. Sie schienen privater Natur, doch waren sie letztlich entscheidend für seine Persönlichkeitsentfaltung. Er lernte zwei Männer kennen, die seine Vorbilder wurden, seine Berater und seine Freunde. In beiden Fällen bewies Otto den schon seinem Großvater sicheren Instinkt für die große Persönlichkeit.
Gerbert von Aurillac hieß der eine. Adalbert von Prag der andere. Beides Männer von unterschiedlichem Herkommen und Charakter, doch gerade deshalb geeignet, die beiden Seelen in des Ottonen Brust anzusprechen, das Himmelhochjauchzende des stolzen Herrschers, das Zutodebetrübtsein des der Welt entsagenden Büßers.
Bischof Adalbert war ein Böhme aus dem vornehmen Geschlecht der Slavnikinger. Er hatte sich wegen seiner Sittenstrenge bei Adel und König seines Landes verhasst gemacht, lebte seitdem in einem Kloster in Rom oder wanderte als Mönch durch Italien, die Verneinung der Welt predigend als einer der Vorkämpfer für eine neue Frömmigkeit, wie sie überall in Europa hervorbrach, in Frankreich mit den Mönchen von Cluny, in Italien mit den Eremiten Nilus und Romuald.
Adalbert begleitete den Kaiser auf seinen Reisen, um ihm bei seinem schweren Amt seelische Hilfestellung zu leisten, vor allem aber, ihn vor der Selbstüberhebung zu bewahren. Wie der Sklave im alten Rom dem Triumphator sein "Bedenke, dass du sterblich bist" zuzurufen hatte, so erinnerte Adalbert immer wieder an die Vergänglichkeit alles Irdischen. Kam der Kaiser ihm allzu kaiserlich, meinte er furchtlos: "Und doch wirst du einst den Würmern zur Speise dienen..."
Ein unbequemer Mensch, in der Tat, und es spricht für den Ottonen, dass er sich den Mann gefallen ließ, wochenlang den Tisch, ja die Schlafstatt mit ihm teilte, ihm demütig aufwartete wie ein Kammerdiener. Und wenn Adalbert fürchtete, durch soviel Ehre ehrsüchtig zu werden, dann schlich er sich nachts hinaus und putzte die Schuhe des gesamten Hofgesindes.
Adalbert beschloss, als Missionar zu den Prussen zu gehen, einem noch halbwilden Volksstamm östlich der unteren Weichsel, der mit besonderer Erbitterung gegen jeden Versuch der Christianisierung sich wehrte und von dem sie späteren Preußen ihren Namen haben, Auf einer versumpften Insel des Flusses setzte man ihn mit zwei Gefährten aus..."
Doch kommen wir zum zweiten engen Freund Ottos III., zu Gerbert von Aurillac:
"..."fachet also an mit der gewaltigen Flamme Eurer Weisheit die Glut wissenschaftlichen Strebens in mir", schrieb Otto III. an Gerbert, einen Mann, der so gelehrt war, dass es mit dem Teufel zugehen musste; jedenfalls bezichtigte man ihn allen Ernstes, er habe seine Seele für sein Wissen verkauft. "Um es geradeheraus zu sagen, wir haben den Entschluss gefasst, ihr möchtet uns unterrichten und zugleich in den Staatsgeschäften mit treuem Rat unterstützen." Der Franzose, der sich in Reims als Erzbischof nicht hatte behaupten können, ergriff die Chance, die sich ihm hier bot, und antwortete in einer Mischung aus Devotion und Schmeichelei: "Wenn ein schwacher Funke der Wissenschaft in mir glüht, so hat ihn allein euer Ruhm angefacht, Euer trefflicher Vater ihn genährt, euer erhabener Grovater ihn entzündet. Wir können daher nicht Schätze bringen, die unser Besitztum wären, sondern nur das uns anvertraute Gut zurückerstatten."
Er eilte nach Magdeburg, wo er sofort Aufsehen erregte, als er ein vom ihm konstruiertes Astrolabium einer Gruppe von Klerikern vorführte, die angesichts dieses Gerätes zur Beobachtung der Sterne sich vorsichtshalber bekreuzigten. Als sen neuer Herr aufbrach zu einem Feldzug gegen die Slawen, schloss er sich ihm an, dozierte auf den langen Ritten vom Sattel aus, las gemeinsam mit ihm beim Flackern des Kienspans den "Trost der Philosophie", den der römische Staatsmann Boethius vor seiner Hinrichtung im Kerker geschrieben hatte, woran sich nächtelange Diskussionen anschlossen über die wahre Glückseligkeit, den Sinn des Bösen, über Vorsehung, Schicksal, Tod.
Und immer wieder reizte Gerbert den Herrscherstolz Ottos, stachelte seinen Ehrgeiz an, indem er ihn als den legitimen Bewahrer aller Weisheiten der Antike bezeichnete. Hatte Adalbert Weltverzicht gepredigt, so redete er von Weltherrschaft. Er beschwor seinen Schüler, das römische Weltreich wiederherzustellen, sich selbst als neuen Caesar an die Spitze zu setzen. So mag in den Feldquartieren der Plan herangereift sein zur renovatio imperii Romanorum, zur Erneuerung des Kaiserreiches der Römer. "Die Kräfte liefert dir das fruchtbare Italien", rief er, "das an Krigern reiche Germanien und Gallien, auch der Slawen weite Länder. Imperator und Augustus wirst du sein, o Caesar, denn du bist edelstem griechischem Blut entsprossen, bist machtvoller als Byzanz, herrschst über Rom kraft deines Erbrechts. Mit deinem Geist, deiner Wortgewalt überragst du alle Griechen und Römer. Unser, unser ist das Römische Reich!"
Große Worte, gewiss, doch wurden sie von einem großen Mann gesprochen, und der Siebzehnjährige lauschte hingebungsvoll ihrem verführerischen Klang. Die alte morsche Welt aus den Angeln zu heben, eine neue zu schaffen, in der Antike und Christentum miteinander verschmelzen würden zu einem Gottesstaat auf Erden, dieses Ideal schwebte ihm vor, und er glaubte mit der ganzen Glut seiner Jugend an die Verwirklichung."
Hört sich doch vielversprechend an, dieser dritte Otto. Und in ein oder zwei Stunden geht es weiter.
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27.06.2004 11:46
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MorgothderGrosse
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Mir ist nach Schreiben, weiter geht´s:
"In Magdeburg war es, mitten in einer politischen Konferenz, die einmal mehr Rom zum Thema hatte, denn Gregor, der deutsche Papst, war von Crescentius vertrieben worden, als ein Bote am Hofe erschien und dem Kaiser meldete: "Unser Bruder Adalbert hat dieses zeitliche Leben durch den seligsten Tod beschlossen, den Tod als Märtyrer."
Wir haben eine genaue Schilderung der letzten Stunden Adalberts. Otto nämlich hatte sofort nach Adalberts Tod eine Vita in Auftrag gegeben. Die beiden dem Überfall entkommenen Gefähzrten waren die Augenzeugen, ein Freund Adalberts aus dem Kloster auf dem Aventin schrieb sie nieder. Sie fand rasch große Verbreitung in ganz Europa und ergriff ihre Leser wie in einem späteren Jahrhundert Goethes Werther. Man versuchtem Adalbert nachzuleben, ihm nachzusterben, weihte ihm Kirchen und-stritt sich um seine Leiche.
Die Barbaren waren klug genug, den Körper nicht allzu sehr zu verunstalten. Sie wussten, wieviel den Christenmenschen eine heilige Leiche wert war, auch wenn der Vorwurf nicht stimmte, dass die den Missionar nur des zu erwartenden Kaufpreises wegen umbrachten. Jedenfalls war der Polenherzog Boleslaw Chrobry-darauf bedacht, dem Kaiser zuvorzukommen-sofort zur Stelle, ließ den Leichnam mit Gold aufwiegen und bestattete ihn in der Marienkirche zu Gnesen. Er wusste, dass er für sein Land mehr als Gold wert war, und er hat alle Bitten Ottos um Auslieferung des Leichnams abgelehnt. Erst nach langem Drängen bequemte er sich, wenigstens einen Arm herauszurücken. Otto teilte ihn in zwei Hälften und stiftete eine davon dem Aachener Marienmünster, die andere der Kirche San Bartolomeo auf der Tiberinsel in Rom.
Eine ungeheuerliche Handlung, ausgeführt von einem gebildeten, auf vielen Gebieten der Wissenschaft beschlagenen Mann, der dennoch tief verstrickt war in abstrusem Aberglauben und heidnischem Götzendienst, so könnte man urteilen.
Es wäre ein Fehlurteil, gefällt von einem modernen Menschen, der jede Beziehung zum Magischen, zum Übersinnlichen verloren hat.
Das Weltbild des Mittelalters war weitgehend magisch bestimmt. Seine Menschen glaubten an die Existenz des Übernatürlichen, daran, dass derjenige, der Reliquien berührt, ihrer Heilskraft teilhaftig wird. Und weil sie es glaubten, erfuhren sie unbewusst eine Steigerung ihrer physischen und psychischen Kräfte: Es geschahen Wunder, die Wunder eben, die des Glaubens liebste Kinder sind.
Die Sachsenkaiser haben ihre Züge nach Italien auch dazu benutzt, sich in den Besitz kostbarer Reliquien zu setzen, ja, bisweilen maß man den Erfolg eines Zuges nach der auf diesem Gebiet erzielten Ausbeute. Besonders Otto I. war ein eifriger Sammler. Für sein geliebtes Magdeburg erwarb er gleich drei Heilige. Ferner bekam er vom Papst den Arm der Felicitas, die Reste der heiligen Frauen Digna und Emerentia und eine Sandale des heiligen Stephan. Mit dem Bischof von Cambrai feilschte er um die Leiber des Autbert und des Gangerich. Durch seinen Bruder Brun kam er zu Stab und Kette des Apostels Paulus. Auch einige Teile vom Rost, auf dem Laurentius lebendig gebraten worden war, kamen durch ihn nach Deutschland.
Die Römer, zu deren praktischer Vernunft seit je die Ausbeutung menschlischer Leidenschaften gehörte, trieben einen schwunghaften Handel mit Leichen und Leichenteilen. Unerschöpfliches Reservoir dafür bildeten die Katakomben, die unterirdischen Begräbnisstätten der frühen Christen.
Ganze Leiber konnten sich nur sehr reiche Leute wie Fürsten und Bischöfe leisten. Aber auch sie waren nicht davor gefeit, hereingelegt zu werden. So bat Otto III. die Stadt Benevent um die Herausgabe des Apostels Bartholomäus. Die Beneventaner, wohl wissend, dass eine kaiserliche Bitte ein Befehl war, fügten sich zähneknirschend. Sie wussten aber auch, dass Gebeine schlecht von Gebeinen zu unterscheiden sind, und kamen auf eine italienische Lösung des Problems: Sie überreichten dem Deutschen statt des wertvollen Apostels einen weniger wertvollen Bischof."
Und hier ein Bild der spätmittelalterlichen Adalbertsbasilika in Gnesen, unten rechts Adalberts Sarkophag:

Weiter mit Otto III., der wieder einmal in Italien weilt:
"Im Februar 998 schloss ein Trupp deutscher Ritter unter Führung des Grafen Birthilo einen in der römischen Campagna gelegenen Festungsturm ein, besetzte ihn nach kurzer Belagerung und nahm einen Mann gefangen, der nach kurzem Verhör gestand, dass er Philagathos heiße. Daraufhin rief man den Henkersknecht herein, der ihm mit einem glühenden Eisen die Augäpfel ausbrannte, dann mit einem gebogenen Messer, wie es die Ärzte benutzten, Ohren und Nase abschnitt, um ihm schließlich mit einer Zange die Zunge herauszureißen.
Am Abend desselben Tages wurde der so grauenhaft Verstümmelte nach Rom geschafft und vor den Kaiser geführt, der ihn mit den Worten anredete: "Sehe ich dich so wieder, Grieche."
Vor ihm stand blutend, Unverständliches lallend, aus leeren Augenhöhlen starrend sein Taufpate, der zärtlich geliebter Lehrer seiner Kindheit, stand Philagathos, der jetzt Johannes XVI. hieß, weil er die Tiara trug.
Eine mehr traurige als tragische Gestalt, dieser Grieche, den Theophano einst in ihre Dienste genommen und zu einer raschen Karriere verholfen hatte. Der einstige Günstling der Kaiserin, ja, wie man damals munkelte, ihr Liebhaber, war auch der Vertraute des Sohnes geworden und mit dem heiklen Auftrag bedacht worden, in Konstantinopel [wo gerade Kaiser Basileios II., genannt "Bulgaroctonos", der Bulgarenschlächter regierte] für ihn als Brautwerber aufzutreten.
Ohne Erfolg zurückgekehrt, ließ er sich von Crescentius gegen eine horrende Summe und der Versicherung, Byzanz würde ihm im Notfall militärisch beistehen, verführen, den Gegenpapst zum Papst abzugeben. Oder, wie die Quedlinburger Jahrbücher im deftigen Stil der Zeit registrierte: "...vom Teufelsgift der Habsucht trunken, erhob er sich so über sich selbst, dass er, ein Geschöpf des Antichrist, den Thron des seligen Apostels zu Rom mehr bekackte als ihm Ehre machte."
Philagathos war zum Verräter an seinem Herrn geworden und konnte nach mittelalterlichem Rechtsbrauch mit Blendung bestraft werden, trotzdem verstörte viele die gnadenlose Reaktion des Ottonen, die zu seinem Charakter nicht zu passen schien. Er hat sie wohl selbst bereut: Als der von allen verehrte Eremit Nilus darum bat, den Verstümmelten in ein Kloster mitnehmen zu dürfen, gab er unter Tränen seine Einwilligung.
Daran aber hinderte ihn jemand, der seinen Feinden eigentlich als erste hätte vergeben müssen: Gregor V., der wiedereingesetzte rechtmäßige Papst. Mit unfasslicher Roheit zerrte er den nicht mehr menschenähnlichen Menschen vor ein Tribunal, zerriss ihm die Papstgewänder, die er wieder hatte anlegen müssen, überließ ihn dann dem Pöbel, um allen zu demonstrieren, dass diese Jammergestalt Stellvertreter Gottes auf Erden hatte werden wollen.
Der heilige Nilus verfluchte daraufhin den wortbrüchigen Kaiser: "So, wie ihr Euch jenes nicht erbarmt habt, den Gott in Eure Hände gab, so wird sich der himmlische Vater auch Eurer Sünden nicht erbarmen!" Ein Bild von biblischer Kraft, der weißhaarige Greis in seinem Ziegenfell, verwahrlost, den Leib von Würmern zerfressen, die Hand zum Himmel reckend. Mit dem Fluch auf den Lippen verließ er Rom, und niemand, auch ein Kaiser nicht, hätte ihn daran hindern könne. So groß war die Macht der heiligen Männer.
Noch ein zweites Schauspiel wurde den Römern geboten, denen es an Sensationen aller Art ohnehin nicht mangelte: die Erstürmung der Engelsburg.
Der riesige Steinkoloss auf dem rechten Tiberufer, im Jahre 136 dem Kaiser Hadrian zum Grabmal bestimmt, hatte im Laufe der Jahrhundert immer wieder als Festung gedient.
Das 31 Meter hohe, im Sockel 89 Meter im Geviert messende Mausoleum schien uneinnehmabr, und Crescentius, erst als Freiheitsheld von seinen Landsleuten gefeiert, nach dem Einmarsch des Kaisers aber von ihnen im Stich gelassen, hatte sich mit seinen Getreuen hinter die zyklopischen Mauern zurückgezogen.
Aber diese Mauern fielen. Die Deutschen hatten, beraten von dem Universalgenie Gerbert, ringsum hohe Belagerungstürme errichtet, von denen aus sie zum Sturmangriff ansetzten. In den blutigen Nahkämpfen, die tage-und nächtelang im Labyrinth der Gänge, Treppen und Verliese tobten, erlosch der letzte Widerstand mit der Überwältigung des aus zahlreichen Wunden blutenden Römers. Die Soldaten schleppten ihn auf die höchste Zinne, schlugen ihm den Kopf ab und stürzten ihn die Mauern hinab.
Die Pilger, die über den Monte Mario zogen, von wo sie Rom zum erstenmal erblickten, sahen ihn später dort an einem Galgen hängen, aufgeknüpft an den Füßen zusammen mit zwölf seiner Anhänger. Ein Schreckensmal für alle Römer, die es in Zukunft wagen sollten, die Hand gegen den Kaiser zu erheben.
Zwei schwere blutige Taten innerhalb kurzer Zeit, die Otto III. zu verantworten hatte. Sie demonstrierten ihm auf erschütternde Weise, dass er nicht der Rex mitis, der milde Herrscher, hatte werden können, wie er es Adalbert mit Handschlag versprochen. Es war ihm nicht gelungen, sich selbst treu zu bleiben: Seine Hände waren mit Blut befleckt.
Er hat unter dieser Erfahrung gelitten, hat versucht, sich durch strenge Bußübungen von der Schuld zu befreien, hat, als er keine Ruhe finden konnte, sich urplötzlich einer schönen Römerin zugewandt und bei ihr Vergessen gesucht. Dass es sich dabei um die Ehefrau des gerade hingerichteten Crescentius gehandelt habe, sei, so unsere Historiker, nicht recht denkbar, da die Dame gut zwanzig Jahre älter gewesen sein müsse."
Hier ein Bild der Engelsburg, in der Crescentius sich verschanzt hatte:

So, und in ein paar Stunden geht es weiter mit Otto III.
[Dieser Beitrag wurde von MorgothderGrosse am 27.06.2004 um 11:46 editiert]
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27.06.2004 15:21
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MorgothderGrosse
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Weiter mit Otto III. und seinem letztlich tragischen Schicksal:
"Auf dem Aventin, einem der sieben Hügel Roms, ließ Otto III. sich aus den Trümmern antiker Paläste eine Residenz errichten, um die aurea Roma wieder zur Hauptstadt der Welt zu machen. Ein phantastisch anmutendes Szenarium entsteht mit einem der Spätantike entlehnten Hofstaat und ihren Würdenträgern, dem vestiarius (Kämmerer), dem praefectus navalis (Flottenadmiral), dem protospatharius (Schwertträger), dem logothetes (obersten Ratgeber) und dem magister militum (Heermeister).
Angetan mit einem goldbrokatenen Purpurmantel, in den die Sternbilder eingestickt waren, begleitet von einer aus dem Adel rekrutierten Leibgarde, erschien er zu festlichem Anlass, speiste abgesondert auf erhöhtem Podest wie ein gottähnliches Wesen, zeichnete Urkunden mit der Floskel "Ego Otto dei gratia Romanorum Imperator Augustus"-"Ich, Otto, von Gottes Gnaden Kaiser und Augustus der Römer", begann seine Reden mit dem Satz "Konsuln, Senat und Volk der Römer". Das alles wies Zeichen eines beginnenden Caesarenwahns aus, so scheint es, aber es war mehr die Lust am theatralischen Spiel, an der romantischen Verklärung, denn wenn es um Politik ging, verschwand der Spuk, und es zeigte sich Klarheit, Voraussicht und Mut. Otto schwebte nichts Geringeres vor als ein vereintes Europa, dessen Hauptstädte Rom und Aachen sein sollten, dessen führende Macht das zu einem Staat vereinigte Deutschland und Italien, dessen "Freunde" Staaten wie England und Frankreich, dessen "Bundesgenossen" Länder wie Dänemark, Burgund, Polen. Um dieses Ziel zu erreichen, war ihm kein Einsatz zu hoch.
Mitten im Winter brach er auf zu seinem berühmten Zug nach Gnesen, durcheilte die 1400 Kilometer lange Strecke in einem Gewaltritt, um-wie immer Religiöses mit Politischem verbindend-am Grabe seines Freundes Adalbert zu beten und mit Boleslaw von Polen zu verhandeln. Am Ende standen der Verzicht auf Tributzahlungen, die Ernennung des Herzogs zum frater et cooperator, zum Bruder und Mitarbeiter, und die Lösung der polnischen Kirche aus der deutschen Kirche. Was ein entscheidender Schritt war zur Unabhängigkeit Polens. Als erster zeigte Otto III. den Ländern des Ostens, wie Polen und Ungarn, dass Christianisierung nicht gleich Germanisierung bedeuten müsse, womit er sie mehr an Europa band als es die Politik a la Otto der Große je vermöcht hätte.
Als Papst Gregor V. plötzlich starb-wohl an Gift, als späte Rache der Creszentier-, da zögerte Otto nicht, den besten Mann zum Nachfolger zu bestimmen: Gerbert von Aurillac, der sich nun Silvester II. nannte. Mit beiden Päpsten war Otto befreundet und ist doch keinen Fußbreit gewichen von seinem Vorrecht gegenüber dem Stuhl Petri. Kühl bezeichnete er die "Konstantinische Schenkung", eine Urkunde, die dem Papst die Herrschaft über die römischen Provinzen des Westens und den Vorrang vor allen Bischöfen zugestand, als das, was sie war: eine plumpe Fälschung. Es sollte achteinhalb Jahrhunderte dauern, bis auch die katholische Geschichtsschreibung das zugab."
Und nun kommen wir zu einer schaurig-gruseligen Episode der deutschen Kaisergeschichte:
"Im Jahre 1000 kam es in Aachen zu einer in größter Heimlichkeit betriebenen Unternehmung des Kaisers, die, nachdem sie bekannt geworden, ungeheures Aufsehen erregte und viele an seinem Verstand zweifeln ließ. In tiefer Nacht begab er sich mit einer Schar von Helfern in das Münster und ließ im Chor vor dem Marienaltar den Boden aufbrechen, bis er auf ein unterirdisches Gewölbe stieß: Das in Vergessenheit geratene Grab Karls des Großen war gefunden!
Mit einer Fackel in der Hand stieg Otto III. hinab und..., doch hören wir die Schilderung eines Augenzeugen, des Grafen von Lomello, die in die Chronik des Klosters Novalese aufgenommen wurde:
"Karl lag nicht im Grabe wie andere Verstorbene, sondern er saß aufrecht auf einem Thron, als lebe er. Auf dem Haupt trug er die goldene Krone und hielt das Zepter in den mit Handschuhen bedeckten Händen, durch die die Fingernägel hindurchgewachsen waren. Wir spürten den Hauch des Todes, einen starken Geruch, und warfen uns vor ihm nieder zum Gebet. Otto ließ ihn in weiße Gewändern hüllen, schnitt ihm die Nägel und erneuerte alles, was verfallen schien.
Von den Gliedern war noch keines durch Verwesung zerstört mit Ausnahme der Nasenspitze, die der Kaiser mit Hilfe von Gold ergänzte. Aus dem Mund dea Toten zog er einen Zahn [auch das goldene Halskreuz und einen Teil der Gewänder nahm er an sich], entfernte sich dann und ließ die Gruft wieder schließen."
Ein gespenstischer Bericht, der an "Leichenschändung" denken lässt. Hier aber ist ein Zwanzigjähriger, dem die Macht zur schweren Bürde geworden ist, der an der sich selbst gestellten Aufgabe zu zerbrechen droht und nun beschließt, den Gang zu den Ahnen anzutreten. Dort hofft er Beistand zu finden, dort will er Hilfe erflehen, und er nimmt den Zahn, das Halskreuz und die Gewänder des Toten, um die Kraft des großen Karl auf sich zu übertragen, um seinen Segen zu erlangen. Doch der Lauf des Schicksals war nicht mehr zu hemmen durch die Heilskraft von Reliquien..."
Und nun kommen wir zum Niedergang des dritten Otto, des so vielversprechenden Jünglings auf dem Kaiserthron:
"Wie so oft stand die Banalität am Anfang der Katastrophe. Sie bahnte sich an, weil die Römer empört waren, dass der Kaiser ihre eigenen Landsleute schonte. Er machte das aufrührerische Tivoli nicht dem Erdboden gleich, so wie die Römer es aus ihrem traditionellen Hass auf die kleine Stadt am Rande der Campagna wünschten, sondern ließ Gnade vor Recht ergehen. Roms Adel erhob sich darauf in einem gefährlichen Aufstand. Das Ungewöhnliche am Gewöhnlichen war, dass sie nicht abwarteten, bis der Kaiser die Stadt verlassen hatte. Sie belagerten ihn in seinem Palast auf dem Aventin, wollten ihn gefangen nehmen und über ihn zu Gericht sitzen.
Otto III. gelang es, sich mit seiner Begleitmannschaft zur Engelsburg durchzuschlagen, wo er vorläufig sicher war. Von den Zinnen aus sah er die Römer sich zusammenrotten, aber er spürte keine Furcht, sondern nur Trauer. Er ließ die Tore öffnen, trat unter sie und versuchte, einem antiken Feldherrn gleich, sie durch die Macht des Wortes für sich zu gewinnen.
Das Gesicht bleich, mit einer von Leidenschaft bebenden Stimme, sprach er, indem er sie alle mit einem Blick umfasste: "Das also seid ihr, die ich meine Römer nannte. Euretwegen habe ich mein Vaterland und meine Nächsten verlassen, habe ich meine Sachsen, ja alle Deutschen-mein eigen Blut!-dahingegeben. Ich habe euch in die fernsten Regionen unseres Reiches geführt, wohin selbst eure Väter, als sie noch den Erdkreis beherrschten, niemals ihren Fu0 gesetzt. Euch habe ich als meine Söhne betrachtet, als Kinder, die ich allen vorzog, um mir dadurch den Neid und den Hass anderer zuzuziehen. Und nun zum Dank seid ihr mir, eurem Vater, in den Rücken gefallen, habt meine Freunde getötet, mich aus eurer Gemeinschaft ausgeschlossen."
Die Römer, von der Gewalt seiner Worte ergriffen, jubelten ihm plötzlich wieder zu. Zwei der berüchtigtsten Drahtzieher wurden gepackt und halbtot dem Kaiser zu Füßen geworfen. Ein Stimmungsumschwung, der sich rasch verflüchtigte, und bald wurde die Lage des Kaisers unhaltbar. Am 16.Februar 1001 verließ er Rom zusammen mit Papst Silvester. Die Aufgabe der Stadt, die er zur Metropole der Welt hatte machen wollen, war mehr als eine Niederlage, sie bedeutete das Ende.
Noch einmal bäumte er sich auf, versuchte er, von Ravenna aus, ein Heer zu sammeln, um dafür Vergeltung zu üben, dass er sich vom Tiber hatte wegstehlen müssen wie ein Dieb. Doch jetzt ließ ihn auch das Reich im Stich. Herzöge, Grafen und Bischöfe weigerten sich, ihm Truppen zu schicken, und riefen zum Widerstand gegen einen Herrscher auf, dessen Pläne sie seit langem nicht mehr zu folgen vermochten. Erzbischof Brun von Querfurt drückte die allgemeine Stimmung aus, wenn er schrieb: "Das aber war die Sünde des Kaisers: Das Land seiner Geburt, das liebe Deutschland, wollte er nicht einmal mehr sehen. Wie ein alter Heidenkönig mühte er sich zwecklos um das altersmorsche Rom."
Otto III. zieht in die 40 Kilometer nördlich von Rom gelegene Burg Paterno bei Rieti. Krank an Leib und Seele, versinkt er in Melancholie. Er ist verbittert und von den Menschen enttäuscht, aber er sucht die Schuld nicht bei anderen. Er glaubt, dass sein Scheitern ein Urteil Gottes ist, der seinen Dienst nicht annehmen will. Der Gedanke daran stürzt ihn in schwärzeste Verzweiflung.
Er stirbt, wie man weiß, an der Malaria, gegen die sein durch härteste Kasteiungen geschwächter Körper nicht mehr aufkommt, im Alter von 21 Jahren.
Seine Freunde, die an seinem Sterbebett stehen, glauben, die Ursache seines Todes besser zu kennen-ein gebrochenes Herz. Sein letzter Wunsch war, in Aachen begraben zu werden. An der Seite Karls des Großen. Die Überführung wirkt wie der düstere Schlussakt eines großen Trauerspiels: Die Gefährten seiner Jugend, die den Leichenzug begleiten, müssen sich den Weg mit der Waffe freikämpfen, denn das Land ringsum steht in vollem Aufruhr. Auch die tragische Schlusspointe fehlt nicht: Als der Kondukt schließlich den Brenner erreicht, landet in Bari ein Schiff aus Byzanz. An Bord ist Zoe, die purpurgeborene Prinzessin aus der Familie des byzantinischen Kaisers Basileios II., dem deutschen Kaiser zur Braut bestimmt...
Man hat den Ottonen mit Ikarus verglichen, mit dem schönen Jüngling der griechischen Sage, der der Sonne zu nahe kam und mit versengten Flügeln ins Meer stürzte. Ein poetisches Bild, das seine Persönlichkeit treffend beschreibt."
Die Linie Ottos des Großen ist damit erloschen. In Deutschland wird im Jahre 1002 ein entfernter Verwandter Ottos als König Heinrich II. zum deutschen König gekrönt. Doch zu dessen Taten kommen wir erst morgen.
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27.06.2004 16:29
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Kaylee
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woooow.....wie tragisch!
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27.06.2004 17:08
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MorgothderGrosse
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IMO ist es eine Schande, dass man Otto III. noch kein vernünftiges Theaterstück, keinen Film und nichtmal einen läppischen historischen Roman gewidmet hat. Ich meine-wie kann historischer Stoff noch tragischer sein?!?
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28.06.2004 21:46
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MorgothderGrosse
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So, weiter geht es, kommen wir zu Heinrich II.
Im Jahre 1002 wurde Heinrich II. als entfernter Verwandter Ottos III. zum deutschen König gewählt. Heinrich II. fiel nicht auf durch große Taten, durch Kriege und große politische Ereignisse. Unter seiner Regierungszeit herrschte nahezu ungestörter Frieden, das Reich konsolidierte sich, der Wohlstand stieg, und die Reichsfinanzen gesundeten. Alles in allem eine glückliche Zeit für das Reich, doch da die guten Zeiten geschichtlich wenig ergiebig sind, können wir Heinrich II. recht stark komprimieren und rasch abhandeln.
Zunächst König Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde, dargestellt in einer Platik im Bamberger Dom (Im Übrigen das einzige Herrscherpaar, das jemals heiliggesprochen worden ist):

Hier nochmal Heinrichs II. Kopf im Detail:

Wohl am bedeutsamsten aus seiner Regierungszeit war die große Kirchen-und Klösterreform. Hören wir Fischer-Fabians einleitenden Text über die Klöster um das Jahr 1000:
"Die Kirche war unermesslich reich zur Zeit der Thronbesteigung des zweiten Heinrich. Ein Reichtum, der sozusagen notgedrungen war. Denn in der Not hatten die Kaiser die Geistlichen immer am dringendsten gebraucht, in der Not, das Reich zu verwalten, es zu bebauen, seine Bewohner zu erziehen, zu bilden, den Hochmut des Adels zu dämpfen, Außenpolitik zu treiben, und, vor allem, in der Not, Kriege zu führen.
Wer alles das leisten wollte, brauchte Geld und Gut, und von Otto dem Großen an war immer Sorge getragen worden, dass es daran nicht mangelte. Die Mehrzahl der Einwohner war verpflichtet, der Kirche den zehnten Teil ihres Einkommens in natura oder in bar zu entrichten. Der Zehnte wurde zur Haupteinnahmequelle, weil er die täglichen Ausgaben deckte. Solider noch, weil unabhängig von den Zeitläufen, war Grund und Boden, in dessen Besitz man durch Schenkung von seiten der Krone kam, durch Erschließung von Ödland, oder einfach dadurch, dass Grundbesitzer bei ihrem Tod einen Teil ihrer Äcker testamentarisch der Kirche vermachten in der wohlgenährten Hoffnung, es in der Hölle leichter oder im Heimmel schöner zu haben.
Um die Jahrtausendwende stieg die Zahl solcher Testamente rapide, glaubten doch viele, das Ende der Welt komme. Adventute mundi vespero-"da der Weltabend nahe ist", lautete die Eingangsformel.
Von Steuern befreit, gesichert vor Weiterveräußerung und-vererbung ihres Besitzes, wurde die Kirche im Laufe der Zeit zur Großgrundbesitzerin, und das galt für alle Länder Europas: In England besaß sie ein Fünftel des gesamten Bodens, in Kastilien ein Viertel, in Deutschland ein Drittel. Allein der Abt der Benediktinerabtei Lorsch am Rhein kassierte die Einnahmen von 2000 Gütern. Das Kloster St.Maximin bei Trier besaß einen Grundbesitz im Wert von, nach heutigem Geld, 250 Millionen Euro. St.Gallen verfügte über 20 000 Leibeigene, Fulda über 15 000 kleine Landsitze.
Was mit dem Kirchenvermöen für den Staat an Hof-und Kriegsdiensten geleistet werden musste, wissen wir, und auch, welchen Fortschritt diese Kapitalkraft für den einzelnen Bürger erbrachte. Die Klöster waren ja zur Zeit der Ottonen keineswegs nur stille Refugien, bestimmt zum Aufenthalt für Reuige und der Welt Entsagende, sie waren Zentren der Kultur und Zivilisation. Hier wurden die ersten Ärzte ausgebildet, entwarfen die Baumeister ihre Pläne für die gewaltigen Dome, lernten die Bauern, wie man Käse herstellt und Weine veredelt, wurde das Wissen der Antike bewahrt und die Weisheit der Alten, fand der müde Reisende Nachtquartier, und der Elende Hilfe, rettete man Dichtungen der alten Deutschen, indem man sie abschrieb, hier fanden Verfolgte Schutz, von hier aus kultivierte man Ödland, rodete man Wälder und lehrte man die Kinder das Abc.
Doch die Verführungen des Reichtums machten vor den Gottesmännern nicht halt, denn sie waren Menschen und Menschlisch-Allzumenschliches war die Folge: Maßlosigkeit, Verschwendung, Laster."
Also griff Heinrich II. ein:
"Er "reformierte" die Klöster, und das hieß in der Praxis, er ging ihnen an den Geldbeutel. Besonders die großen Reichsabteien mussten daran glauben.
Heinrich II. ließ ein Güterverzeichnis aufstellen und strich den Mönchen kurzerhand alle Einkünfte, die über ihren Bedarf hinausgingen. Er erinnerte sie bei dieser Gelegenheit nachdrücklich an die Regel des heiligen Benedikt, wonach sie in Gehorsam, Keuschheit-und Armut-zu leben hätten. Von ihm ernannte Äbte sollten dafür sorgen, dass diese Regel im Gedächtnis blieb. Und so verfuhr er in Hersfeld, in Prüm, in Lorsch, in Fulda, auf der Reichenau, in Corvey, in Niederalteich.
Das ging nie ohne heftigen Widerstand ab. Ist es doch schwer, ein bequemes eben gegen die harte Fron der Entsagung einzutauschen, und so verließn die Mönche in Scharen die Klöster, oder sie wehrten sich gegen die neue Ordnung, indem sie intrigierten, den Gehorsam verweigerten, passiven Widerstand leisteten. Auch zu aktivem Widerstand kam es, wie in Corvey, wo ein Aufstand mit schweren Kerkerstrafen gebrochen werden musste, oder in Stablo bei Malmedy, wo die frommen Brüder sehr unfromm zur Waffe griffen. Der Posten des Reformabtes verlangte deshalb unerschütterlichen Mut, und gefährlich konnte es auch werden, denn es kamm immer wieder vor, dass man die Reformer verjagte, verprügelte, ja verstümmelte.
Heinrich harte Maßnahmen bewirkten, dass die Zeitgenossen die Klöster mit einer Brandstätte verglichen, so verödet lagen sie da. Doch die meisten Mönche kehrten wieder zurück, nachdem sie hatten erfahren müssen, dass sie dem Leben in der Welt nicht mehr gewachsen waren. Sie hielten sich von nun an streng an die Regel, und die Klöster erhielten bald ihre alte Bedeutung als Zentren des Glaubens und des Geistes zurück.
Die Abtei ST.Maximin bei Trier erleichterte Heinrich II. um nahezu 200 000 Morgen Land und konnte so einige wichtige weltliche Große, darunter den Herzog von Bayern, bei der Stange halten.
In Hersfeld fanden seine Sendboten 200 Prachtgewänder, deren Goldfäden er sofort einschmelzen ließ."
Hier übrigens der Kreuzgang der Reichsabtei Corvey in Niedersachsen:

Eine weiter erwähnenswerte Tat Heinrichs II. war die Gründung eines Bistums für seine geliebte Stadt Bamberg. Hören wir Fischer-Fabian, wie Heinrich II. seinen Wunsch durchsetzt:
"Zum Sitz des geplanten Bistums hatte er Bamberg gewählz, eine von einer Burg geschützte Siedlung, die er vom Vater, dem oft genannten "Zänker", geerbt, um sie seiner Frau Kunigunde zur Hochzeit zu schenken. Seinen Plan fasste er gleich nach der Krönung, hielt ihn aber geheim, wohl wissend, welch einen Berg von Schwierigkeiten es zu bezwingen galt, denn zu einer neuen Diözese gehört eine genügend große Fläche Land.
Sicherheitshalber begann er erst einmal mit dem Bau eines großen doppelchörigen Doms und schaute sich um nach wichtigen Reliquien. Ein Nagel und ein Splitter vom Kreuz Christi, beides kostbare Überbleibsel, waren für die neue Metropole gerade recht. Nach der Weihung des einen Chores vermachte er der neuen Kirche die ihm im Volkfeld und im Rednitzgau gehörenden Güter und begann die Geheimverhandlungen mit dem Bischof von Würzburg, dem Mann, zu dessen Diözese das Land gehörte, das er dringend brauchte. Wenn der Würzburger bereit sei, es ihm abzutreten, wäre es nicht unmöglich, dass aus seinem Bistum ein Ezrbistum würde und er selbst ein Erzbischof würde, ließ der König-denn Kaiser war er noch nicht, durchblicken, jedenfalls wolle er sich wärmstens dafür beim Papst einsetzen."
Mit diplomatischem Geschick gelang Heinrich II. der Plan, und noch heute ist Bamberg dank ihm Bistum. Kommen wir nun kurz zu seiner Kaiserkrönung:
"Als Heinrich II. 1014 nach Rom zog, um Kaiser zu werden, überreichte ihm Papst Benedikt VIII. auf den Stufen der Peterskirche eine aus reinem Gold getriebene, mit Diamanten verzierte Weltkugel, auf der ein Kreuz stand. Ein Geschenk, so kostbar wie sinnreich, und Heinrich verstand den Sinn sofort: Das Kreuz bedeutete die Pflicht des Kaisers gegenüber Gott beziehungsweise dessen Stellvertreter auf Erden, dem Papst."
Wir spüren den Beginn eines Konflikts zwischen Kaiser und Papst, der sich später dramatisch zuspitzen sollte. Die üblichen Aufstände der Fürsten konnte Heinrich II. überwinden:
"So vorbereitet, nahm der Kaiser den Kampf mit seinen Nebenbuhlern auf, mit dem reichen Hermann von Schwaben, mit Ekkehard von Meißen, den man den Schrecken der Slawen nannte. Wenn Heinrich II. schließlich obsiegte, dann war es weniger seiner kriegerischen Tüchtigkeit zu verdanken als seinem diplomatischen Geschick. In zäher Kleinarbeit verhandelte er mit den wie eh und je aufeinander eifersüchtigen deutschen Stämmen."
Kommen wir zur Ostpolitik Heinrichs II.:
"Den Osten und mit ihm die Missionierung bei den Heiden hatte der Kaiser als Erbe übernommen. Kein christlicher König der Deutschen hätte sich dem entziehen können, auch wenn er erkannte, dass zwar Schlachten zu gewinnen waren, aber nie der Krieg. Den endgültigen Sieg verhinderte immer wieder die östliche Landschaft: mit ihren Wäldern und Sümpfen, mit ihren Flüssen, die schwer zu überschreiten waren und auch nicht in die "richtige" Richtung flossen, von West nach Ost, was für Truppentransport und Nachschub entscheidend gewesen wäre.
Diesmal ging es nicht um Glauben, sondern um Macht. Den Polen war in Herzog Boleslaw I. ein fähiger Führer erwachsen. Er trug den Beinamen "Chrobry", der Tapfere, die Deutschen wären mit ihm fertig geworden. Er war der erste polnische Herrscher, der sich den Kaisern gewachsen zeigte, als Politiker und Soldat.
Sich diesen gefährlichen Feind vom Hals zu schaffen, schien Heinrich II. jedes Mittel recht: er schloss ein Bündnis mit den Ljutizen. Das war eine slawische Stammesgruppe, die im östlichen Mecklenburg, in Vorpommern und im Havelgebiet saß, mit Rethra als religiösem und politischem Mittelpunkt. In ihren mit Tierhörner geschmückten Tempeln befragten sie das Losorakel, weihten sie die eroberten Feldzeichen ihren mit Harnisch und Helm gekleideten Göttern, opferten sie die auf den Feldzügen gefangenen Christen dem "unsäglichen Durst" des obersten Gottes Zuarasici. Ljutizen bedeutet "die Wilden, die Grimmigen"-und das waren sie immer gewesen. Sie hassten die Deutschen, doch wenn es jemanden gab, den sie noch mehr verabscheuten, dann waren es die bereits christlich gewordenen Polen. Allein das war ausschlaggebend für Heinrich II. bei seinem Pakt, von dem er wusste, dass die Christenheit ihn als einen Pakt mit dem Teufel ansehen würde.
Letztlich behielt er recht mit seiner Entscheidung, die der Mitwelt ein Greuel war, der Nachwelt aber ein Greuel: Die Grenzen blieben gesichert."
Auch mit dem entstehenden Großfürstentum von Kiew schloss Heinrich II. einen Pakt, und so konnte Boleslaw von Polen nie allzu gefährlich werden. Und nun noch etwas zu Heinrich II. Italienpolitik:
"Erst zehn Jahre nach seiner Thronbesteigung unternahm Heinrich II. den für alle Könige vor und nach ihm obligatorischen Romzug. Er tat es mehr aus Pflicht, denn Italien lag ihm nicht, und Italien, besonders die Römer, schon gar nicht.
Ganz heraushalten konnte auch er sich nicht aus den italienischen Wirren. Diesmal waren es die Byzantiner, die für Unruhe sorgten: Sie hatten nichts weniger im Sinn, als von ihrem unteritalienischen Machtgebiet aus nach Rom vorzustoßen. Hier musste ein deutscher Kaiser eingreifen, wollte er seinen Titel zu Recht führen, denn mit der Bedrohung Roms war das Reich gefährdet. Doch auch der Papst war gefährdet, und Heinrich II. nützte die Gelegenheit, ihm zu zeigen, dass er ohne kaiserliche Hilfe nicht sicher sei. Er ließ den Papst über die Alpen nach Bamberg kommen, wo das Ersuchen um Hilfe gnädigst entgegengenommen wurde.
Als er, Ende 1021, endlich eingriff, geschah es mit einem starken Heer und gründlicher taktischer und strategischer Vorbereitung. Innerhalb von neun Monaten drängte er die Byzantiner zurück, sicherte die Fürstentümer Salerno, Benevent und Capua, die für die Sicherheit des Reiches so wichtigen Pufferstaaten. Vielleicht wäre es ihm gelungen, Byzanz endgültig aus Apulien zu vertreiben, wenn nicht wieder einmal die Malaria zum besten Verbündeten des Feindes geworden wäre und die Deutschen zum Abbruch des Feldzuges gezwungen hätte."
Drei Jahre später, im Jahre 1024, stirbt Kaiser Heinrich II. Er hatte die Grenzen gesichert, die Finanzlage gebessert, den Lebensstandard gehoben. Sprich: Es war eine gute Zeit für die Menschen im Reich gewesen. Hier der von Heinrich II. gegründete Bamberger Dom, in dem er und seine Frau Kunigunde begraben liegen (Jedoch stammt die heutige Form des Domes hauptsächlich aus dem frühen 13.Jahrhundert)außen:

und innen:

Mit Kaiser Heinrich II. stirbt der letzte Herrscher aus dem Geschlecht der Sachsenkönige bzw. Liudolfinger. Nach Heinrichs II. Tod öffnet sich der Vorhang der Geschichte für die zweite große deutsche Kaiserdynastie, unter der das Kaisertum den Höhepunkt der Macht erreichen sollte und unter der der Konflikt zwischen Kaiser und Papst zur Eskalation kam: die Salier. Doch dazu kommen wir das nächste mal.
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28.06.2004 23:01
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MorgothderGrosse
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Hier als Nachtrag noch der berühmte Bamberger Reiter (Der allerdings erst eine ganze Weile nach Heinrichs II. Tod entstand) aus dem von Heinrich II. gegründeten Bamberger Dom:

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01.07.2004 14:11
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MorgothderGrosse
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So, zurück ins Jahr 1024. Kaiser Heinrich II. ist tot, das Geschlecht der Liudolfinger damit erloschen. Ein neuer Herrscher muss her:
"Die Sachsenkaiser [Also die Liudolfinger] hatten einst den Kampf aufgenommen gegen den Partikularismus der Stämme, hatten die berüchtigte deutsche Zwietracht im Zaum gehalten, indem sie einem jungen Volk neue Ziele gewiesen. Aus Stammesverbänden ein Reich geschmiedet zu haben, das Reich der Deutschen, das war ihre große Tat.
Wie stark das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der einst hoffnungslos miteinandere verfeindeten Stämme geworden, zeigte die Wahlversammlung bei Oppenheim am Rhein, auf der man den neuen König kürte.
Zwei Konrade stellten sich zur Wahl, Freunde, Vettern, Urenkel jenes nun bereits legendären Herzogs Konrad des Roten, des Schwiegersohnes Ottos I., den wir als Held und Opfer der Ungarnschlacht kennengelernt haben. Beiden gab ihre Abstammung gegenüber anderen den Vorzug. Nachdem die Prätendenten sich untereinander abgesprochen hatten, einigten sich die Fürsten auf den älteren Konrad, worauf Exkaiserin Kunigunde ihm die Reichsignien überreichte. Ein rührender Zug em Rande, wie diese noch vor kurzem mächtige Frau sich bald darauf ins Kloster Kaufungen zurückzog, um die restlichen vierzehn Jahre ihres Lebens als einfache Pförtnerin ihren frommen Dienst zu tun.
Mit Konrad II. kamen nun für ein Jahrhundert die Salier auf den Thron, ein fränkisches Hochadelsgeschlecht, dessen Name vom althochdeuten Wort sal-"Herrschaft" abgeleitet wird. Von den Franken war das KÖnigtum einst ausgegangen und kehrte nun wieder zu ihnen zurück. Die Salier waren anders als die Liudolfinger, anders in ihrem Aussehen und ihrem Charakter: hochgewachsenm statt untersetzt, mit dunklen Haaren statt der mehr ins Rötliche gehenden ihrer Vorgänger; rücksichtslose Herrenmenschen sie alle, die, hätten sie nur gekonnt, zu Tyrannen geworden wären; nur auf die Macht bedacht, überließen sie die Förderung von Künsten und Wissenschaften anderen;"...die Mischung von Hoheit und Traulichkeit, der Humor, die herzliche Wärme, die den Ottonen eigen war", sie fehlte ihnen gänzlich.
Bezeichnend hierfür, dass mit Konrad II. wieder ein idiota litterarum die Krone übernahm, einer, der nicht lesen noch schreiben konnte. Man hatte es in seiner Kindheit nicht für nötig erachtet, an einen Niemand irgendwelche Bildung zu verschwenden. Der Vater war tot, die Verwandten hatten ihn um sein Erbe betrogen, die Mutter ihn im Stich gelassen; und das edle Blut allein schien nicht zu genügen, ihn für höhere Aufgaben zu bestimmen. Doch nach dem Gesetz, dass das, was einen Menschen nicht zerbricht, ihn um so stärker macht, ging auch Konrad II. gestählt hervor aus der Misere seiner Kindheit, erfüllt von einem starken Gerechtigkeitsgefühl und einer Sympathie für den niederen Adel, die Ritter, jene gesellschaftliche Schicht, die die Truppen des Reiches stellte.
Dem König Konrad II. verdankten es die Ritter, dass ihr Lehen erblich wurden, Geliehenes sich in Eigentum verwandelte. Es machte sie zum erstenmal frei, frei von der Willkür ihrer Lehnsherren, der Fürsten und Bischöfe, die nun nicht mehr nach Belieben über die Güter der Ritter verfügen konnten. Kein Wunder, dass die Ritter in unabdingbarer Treue zu ihrem König hielten, jederzeit bereit, ihm gegen die Territorialherren zu helfen. Jene Herren, für die es keinen Eid gab, den sie nicht brachen, wenn es um die Aushöhlung der königlichen Macht ging. Ein neuer Dienstadel des Königs entstand auf diese Weise, der dem Staat nicht wie bisher nur im Kriege diente, sondern auch im Frieden: Er stellte die ersten weltlichen Beamten, die Ministerialen."
Hier (die große, sitzende Person) Konrad II. im Codex Aureus, einem Prachtband, den die Salier der Stadt Speyer schenkten:

Und nun zur ersten Rebellion gegen die Herrschaft Konrads II.:
"Wie treu die Ritter von nun an zu Konrad II. hielten, zeigte sich bei der Rebellion, die der Stiefsohn des Königs, Ernst von Schwaben, anzettelte. Obwohl ihr Lehnsherr, versagten sie ihm die schuldige Gefolgschaft, weil, so argumentierten sie, der König der Hort ihrer Freiheit sei und sein Recht eines Herzogs Recht breche.
Ihr Ungehorsam allerdings traf einen der Besten: Ernst, ein junger Edler, von seinem Recht auf das burgundische Erbe durchdrungen, unterliegt, soll wieder in Gnaden aufgenommen werden, weigert sich aber, den Preis dafür zu bezahlen-den Verrat an seinem besten Freund. Von der eigenen Mutter, Gisela, verleugnet, die den "weisen Gatten Konrad dem übel beratenen Sohn vorzieht", als Hochverräter für vogelfrei erklärt, zieht er sich in den Schwarzwald zurück, wo er eine Zeitlang als Rächer und Räuber lebt, um schließlich, von einer Übermacht umstellt, den Tod in einem letzten verzweifelten Gefecht zu suchen. Ein von Tragik umdüsterte Gestalt, der Herzog Ernst, an den einpaar Worte zu verlieren wohl ansteht."
Und zurück zum neuen König Konrad II.:
"Seine Sympathie für die Niedriggestellten zeigte Konrad II. bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Einen in Rom gefallenen Ritter ließ er demonstrativ neben dem Grabe Kaiser Ottos II. beisetzen; einem anderen, dem ein Abein abgehauen, füllte er den zu diesem Bein gehörenden Reitstiefel mit goldenen Münzen und stellte ihn an sein Schmerzenslager. Als die Knechte des Bischofs von Werden bei Essen verkauft werden sollten, fragte er die Verantwortlichen voller Empörung: "Glaubt ihr, etwa, dass sie venunftlosem, Vieh gleichen?!"
Konrads ausgeprägtes Rechtsgefühl half ihm, komplizierte rechtliche Probleme zu lösen und auf ihren Grundgehalt zurückzuführen. Die Bewohner Pavias hatten nach dem Tod Heinrichs II. die Königspfalz zerstört, und sie entschuldigten sich für dieses Vergehen, indem sie spitzfindig vorbrachten: "Als wir dies taten, gab es noch keinen neuen König, also konnten wir auch uns nicht gegen Euch, o Herr, vergangen haben."
Konrad II. gab ihnen die klassische Antwort, die in die Geschichte des Staatsrechts eingegangen ist: "Wenn der König stirbt, bleibt doch das Reich-so wie das Schiff bleibt, wenn der Steuermann gefallen ist."
Tag und Nacht im Sattel, durcheilte er sein riesiges Reich, die Schuldigen zu strafen, die Säumigen anzuspornen, die Gerechten zu belohnen. Das Recht zu schützen, gehörte zur vornehmsten Aufgabe der deutschen Kaiser des Mittelalters, und Konrad II. kam ihr mit unerbittlicher Strenge nach, dabei immer darauf bedacht, nicht nur die Kleinen zu hängen. In einem Gewaltritt legte er einmal in vierundzwanzig Stunden einhundertfünfzig Kilometer zurück, um den Grafen Thasselgard, der in Mittelitalien plünderte und mordete, dingfest zu machen. Als man den adligen Räuber zum Galgen führte, sagte der König: "Das also ist der Löwe, der meine Herde verschlingen wollte. Beim Himmel, diese Bestie wird von meinem Brot nicht mehr zehren."
Fischer-Fabian beschreibt Auftreten und Charakter Konrads II.:
"Konrad II. war ein Haudegen, der von seinen Kriegern nicht mehr forderte als von sich selbst. Bei den Kämpfen gegen die Slawen an den versumpften Ufern der Elbe schlug er sich, bis zu den Schenkeln im Morast stehend, in vorderster Linie. In Ravenna sprang er vom Fenster seines Nachtquartiers auf ein Pferd, stürzte sich mitten unter die Rebellen und verhinderte eine Panik unter seinen von allen Seiten umstellten Truppen. Bei einem nächtlichen Aufstand in Parma warf er Brandfackeln in die Häuser, gab so seinen vor der Stadt lagernden Truppen das rettende Notsignal. Als die Wenden [ein slawischer Stamm] vor seinen Augen ein Kruzifix verschandelten, indem sie dem Gekreuzigten Arme und Beine ausrissen, setzte er sich an die Spitze eines Kommandounternehmens, und die Gefangenen, die er machte, ließ er auf ähnliche Weise verstümmeln.
Wer ein Jahr aus Konrads II. Leben herausgreift, bekommt einen Begriff davon, was diese Herrscher rein physisch leisten mussten. 1033 beispielsweise unternimmt er von Straßburg aus einen Winterfeldzug nach Burgund, zieht anschließend über Basel und Solothurn an den Neuenburger See, von dort nach Schwaben und Lothringen und feiert das Osterfest im holländischen Nimwegen. Der Mai sieht ihn bei einer Konferenz mit dem französischen König in Deville an der Maas. Wenige Wochen später taucht er in Thüringen und Sachsen auf, hält an St.Peter und Paul hof in Merseburg, geht Anfang August nach Limburg, führt von dort seinen zweiten Feldzug in die Champagne. Kaum wieder in der Heimat, ruft ihn eine Offensive der Slawen an die Ostgrenze, wo er persönlich in die Kämpfe eingreift und die Abwehr organisiert. Erst das Weihnachtsfest gönnt ihm eine kurze Pause im westfälischen Minden.
Konrad II. war ein Herrscher, dem, sieht man von wenigen missglückten Feldzügen ab, das Königsheil in reichem Maße zuteil wurde. Ähnlich wie Otto I. profitierte er vom Tod anderer. Da starb Boleslaw Chrobry, vielleicht die größte Persönlichkeit, die Polen im Laufe seiner Geschichte hervorgebracht hat, und hinterließ ein Reich, das schwächliche Nachfahren nicht zu halten vermochten: Die Gefahr für die deutschen Ostgrenzen war gebannt. Und Burgunds König Rudolf starb und trat sein Land per Erbschaftsvertrag ans Reich ab, womit Konrad II. über die strategisch wichtigsten Alpenpässe nach Italien verfügte.
Dieser Kaiser [1027 war er auch zum Kaiser gekrönt worden] ging im nüchternen politischen Kalkül noch weiter als sein Vorgänger. Hatte der zweite Heinrich sich nicht gescheut, mit den Heiden zu paktieren, so war Konrad II. sogar zu Gebietsabtretungen bereit.
Knut von Dänemark, der über England, Schottland und Norwegen herrschte, gewann er durch den Verzicht auf die Mark Schleswig, ein Landbesitz, der ohnehin nicht mehr zu halten gewesen wäre. Um den gewalttätigen Dänen noch fester an sich zu binden, stiftete er eine Ehe zwischen seinem Sohn Heinrich und der Dänenprinzessin Gunhild. Nachdem es ihm nicht gelungen war, Ungarn mit Gewalt zu befrieden, erkaufte er sich den Frieden durch die Aufgabe eines Grenzstreifens beiderseits der Donau über Pressburg und konnte nun, in der Flanke nicht mehr bedroht, mit geballter Macht gegen Polen ziehen.
Teile des Reiches abzutreten, war ein unerhörtes Verfahren und trug ihm von manchem den Ruf eines Verzichtpolitiker ein, das aber scherte ihn nicht, wenn nur die Bilanz stimmte, und sie stimmte immer dann, wenn er das Blut seiner Männer nicht hatte vergießen müssen. Bei seinen Feldzügen in Italien achtete er darauf, sie rechtzeitig vor Einbruch des malariagefährdeten Sommers in die Täler Südtirols zurückzuziehen."
Hier eine Karte des erheblich angewachsenen Reiches unter Kaiser Konrad II.:

Unter Konrad II. entwickelte sich die bis dahin kleine Stadt Speyer (Damals Spira genannt) zu einer Art inoffizieller Residenz des Reiches. Wegen seiner Vorliebe für Speyer wurde Konrad II. auch "Der Speyerer" genannt. Alle Salier behielten die Vorliebe für Speyer, und so entstand von 1030 bis ungefähr 1100 der romanische Speyerer Dom, die bis ins 16.Jahrhundert größte Kirche der Welt-größer sogar als die Hagia Sophia in Konstantinopel. Hier sind alle salischen Kaiser begraben und drei weitere deutsche Könige , und auch durch die erstmals angewandte Wölbung der Decken wurde der von Konrad II. angefangene Bau zu einem in ganz Europa bestaunten Monumentalbau. Hier die Ostseite des Speyerer Doms, die schon zu Konrads Lebzeiten, um 1035, fertiggestellt wurde:

Und hier der Dom von innen:

Und hier ein Teil der Krypta des Doms, die Unterkirche, in der Konrad II. oft die christlichen Feste feierte, da die Oberkirche noch nicht fertiggestellt war:

So, und nachher geht es weiter mit Kaiser Konrad II.
[Dieser Beitrag wurde von MorgothderGrosse am 01.07.2004 um 14:11 editiert]
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01.07.2004 23:22
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Kaylee
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Gab es zu der Zeit echt keinen Regierungssitz oder so?! Gut, bei Konrad wäre der offensichtlich eh sinnlos gewesen, wenn er die ganze Zeit nur unterwegs war.
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02.07.2004 12:57
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MorgothderGrosse
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Ja, es gab vor 1871 in der Tat niemals eine deutsche Hauptstadt-nur die über das ganze Land verstreuten Pfalzen, in denen die Kaiser mal ein paar Wochen oder-selten-ein paar Monate residierten. Natürlich hatte aber jeder Kaiser seine bevorzugten Pfalzen. Die Ottonen hielten sich besonders oft in Magdeburg, Memleben und Meißen auf, die Lieblingsstadt Heinrichs II. war Bamberg, und Speyer war die bevorzugte Residenz der Salier. Aber länger als ein oder zwei Monate waren die Kaiser auch in diesen Lieblingsresidenzen nie.
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