21.01.2005 23:04
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pfeifenkrautler
Honk
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Bei Filmkritiken versteh ich unter konstruktiv, dass die Meinung begründet wird und man nicht einfach einen Film (wie Suchsland bei "La mala educacion") "saudoof" findet.
So, seit gerade eben kenne ich drei Filme von Suchslands Top 20. Elephant ist ein krasser Film, kein Spaß. Er beschreibt den Tag des Schulmassakers von Columbine in dichterischer Form. Er bezeichnet sich bewusst als fiktiv, ist aber stark an die tatsächlichen Ereignisse angelehnt. Man erlebt einen ganz normalen Tag an einer amerikanischen Highschool, irgendwo in einer Kleinstadt in den Great Plains. Man verfolgt den Alltag der Schüler, belauscht ihre Gespräche, lernt ihre Probleme, Ängste und Hoffnungen kennen und am Schluss kommen zwei Bekloppte und erschießen alle.
Hätte es Columbine nie gegeben, wäre der Film einfach nur krank, eine weitere perverse Gewaltphantasie. So aber nimmt er einen doch gehörig mit. Er bezieht keine Stellung, wertet nicht und bedient sich kaum erzählerischer Manipulationen. Man kann sogar sagen, dass er streckenweise recht langatmig ist, es passiert einfach nichts. Bis dann.
Er ist sehr gut gefilmt, beeindruckend, endlose Kamerafahrten ohne Schnitt, sehr ruhig, kaum Musik, wenig Dialog, viele Close-ups und immer wieder wird der Tag zeitlich ineinander verschränkt. Dieselben Momente werden in verschiedenen Szenen aus verschiedenen Positionen erzählt. Die Optik und der Erzählstil erinnerten mich mitunter an "Lost in translation", auch wenn sonst natürlich kaum Parallelen bestehen. Die Kamera arbeitet viel mit Räumen, mit leeren Fluren, endlosen Fluchten, kahlen Klassenzimmern, großen Fenstern und jungen Gesichtern, hinter denen der Abgrund lauert oder auch nicht. Erst nach und nach kristallisiert sich heraus, wer an diesem Tag Opfer und wer Täter sein wird, das hat schon was ziemlich Grusliges.
Der Film ließ mich etwas ratlos zurück. Was will er mir sagen? Vielleicht hat er keine Botschaft, vielleicht ist das auch mal okay so. Dennoch, diese Unbestimmtheit hat auch was Feiges, es gefällt mir nicht so recht. Handwerklch volle Punktzahl, künstlerisch finde ich ihn schwierig.
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22.01.2005 01:30
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Arbrandir
Schuft
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Beispiel letztes pk-Posting im Thread:
Er beschreibt seine Eindrücke, erklärt die Zusammenhänge, wie er sie wahrgenommen hat und gibt einen Kommentar / eine Beurteilung ab. So sollte Kritik aussehen -- wenn auch nicht immer in dieser klassischen Reihenfolge.
Schlechte Kritik beschränkt sich entweder auf reine Beschreibung oder auf reine Beur-bzw. Aburteilung. Suchslands "Top"-Liste tut lediglich letzteres. Daher ist sie extrem schlampig und ignorierbar. "Das finde ich gut/schlecht/mittel/aufregend/aufregenswert/zum Einschlafen, und jetzt geb ich Euch eine Liste meiner persönlichen Eindrücke"... Hey! Ein beliebiger Aufzählthread im DAF!
So leicht möchte ich mein Geld auch mal verdienen...
(Die "TV Movie" (Eigenwerbung: "Europas härteste Filmredaktion!!" *abwechselndplatzvorLachenunderbrech*) macht dasselbe. Daumen 'rauf, Daumen 'runter, zwei Punkte für "Action", ein Punkt für "Tiefgang". Gibt es wirklich Menschen, die sowas als ernstzunehmende "Kritik" werten?)
Kritik stellt Zusammenhänge her. Ob die "im Sinne des Erschaffers" sind, spielt eine untergeordnete Rolle, weil Kritik eben nicht in erster Linie an den Macher/Erschaffer gerichtet ist *. Es geht nicht um "So solltest du das gemacht haben", sondern es geht um "So wirkt das, was du gemacht hast, auf mich". Der Kritiker, der etwas von seinem Job versteht, maßt sich nicht an zu sagen "Ich kann es besser". DAS erfüllte dann wirklich die Karikatur des "Those who can, do. Those who can't, criticize."
Die Rolle der Kritik ist die des Vermittlers zwischen Macher und Zuschauer/Zuhörer/Betrachter/Leser = Rezipient. Kritik bedeutet zuletzt, etwas in Töpfchen und Kröpfchen einzuteilen. Zuallererst heißt es, zu analysieren und die Beziehung der einzelnen Bestandteile darzustellen und zueinander ins Verhältnis zu setzen und Bedeutung herzustellen über den reinen Text hinaus. Das kann einfach sein - aber auch sehr komplex, wenn man z.B. in der Filmkritik nicht nur die (handwerkliche) "Flüssigkeit" eines gegebenen Texts beurteilt, sondern auch dessen Verhältnis zu (film-)historischen, weltanschaulichen und genrebedingten Gegebenheiten und Phänomenen.
Uff.
Robin Wood, Pauline Kael, J.Hoberman -- live long and prosper.
*@ Lothiriel: Na selbstverständlich lesen Regisseure heimlich die Kritiken. Aber sie würden sich eher die Zunge abbeißen, als zuzugeben, daß diese Kritiken sie beeinflussen - weil Kritiker ja sowieso keine Ahnung haben und die "Macher" sich ohnehin nicht als Ziel der "Kritik" (sic!) ausliefern dürfen.
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22.01.2005 01:26
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pfeifenkrautler
Honk
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Zitat: ... - weil Kritiker ja sowieso keine Ahnung haben und die "Macher" sich ohnehin nicht als Ziel der "Kritik" (sic!) ausliefern dürfen.
Was ich wiederum völlig richtig finde. Wie schon gesagt, ich hätte lieber Arwen kämpfend in Helms Klamm gesehen als dieses halbgare Herumgeeiere über drei Filme hinweg. Mal ist sie coole Reiterin, dann wieder verhuschte Elbenmaid.. Xenarwen wäre wenigstens eine klare "Interpretation" Jacksons gewesen, über die man herrlich hätte disputieren können. So bleibt sie weder Fisch noch Fleisch.
Und wenn ich dann so Zitate lesen muss wie "it's fun for the people to see", dann wünschte ich mir, dass kein Regisseur jemals Kritiken lese. Der Künstler soll seine Vison abliefern, egal, wie strange sie sein mag, die Nachwelt soll darüber entscheiden.
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22.01.2005 01:50
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Arbrandir
Schuft
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Langzeitprojekte wie Herr der Ringe sind da natürlich ihren eigenen (und innerhalb der Filmgeschichte neuen) Regeln unterworfen.
Als schlimmstes Beispiel der Anbiederung an den vermeintlich erfolgversprechenden Massengeschmack dient das Star Wars Episode I-III-Unternehmen.
Pure Kassenkalkulation. Schrecklich in die Hose gegangen. Ein wahrer Schmaus für Kritikerhäme -- und zwar zu recht.
Zitat: Der Künstler soll seine Vison abliefern, egal, wie strange sie sein mag, die Nachwelt soll darüber entscheiden.
Deine puristische Ansicht in Ehren, pk --- nur ist das im heutzutagigen Hollywood (und das ist nun mal die Matrix, in der 90 % der westlichen Welt lebt) die Utopie des unschuldigen Narren. Vergiß Wall Street. Nicht weit vom Sunset Boulevard ziehen die wahren Haie ihre Bahnen.
Wer bildgewaltige Geschichten erzählen will, muß sich heute unterordnen.
Klingonisch, is' aber so.
Der Mythos ist dem Kommerz verpflichtet. (Du findest das platt? Na dann sieh Dir mal Troja, Herr der Ringe, King Arthur oder Alexander an --- und stelle mir einen umsetzbaren Plan vor, wie man derartige Geschichten auf die "große" Leinwand bringen kann, ohne Kompromisse in Sachen Authentizität und Integrität zu machen.)
Ein Regisseur, der nur für seine eigene Version/Vision kämpft, ist heutzutage ein verdammt alleingelassener und (pekuniär gesehen) armer Regisseur. Und ein armer Regisseur ist kaum jemals ein massentauglicher Regisseur.
Mir gefällt das auch nicht, glaub mir.
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22.01.2005 11:30
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GuyIncognito
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Ich muß Arbrandir leider recht geben.
Das Problem bei den Filmen ist doch, dass eine riesige Maschenerie daran hängt und sie einige hundert Millionen Dollar verschlingen.
Irgendwo ist es natürlich verständlich, dass die Studios gewinn machen wollen.
Wer gibt schon gerne für einen Film 150 Mio Dollar aus, spielt dann aber nur 60 Mio ein. Lange geht das nicht. Deshalb werden große Filme immer Massenkompatibel sein.
Außer vielleicht - die Filmproduktion wird in den nächten Jahren am PC so einfach, dass auch mit kleinem Budget ähnliche Filme realistiert werden können.
Leider übertreiben sie es oft und sie versuchen mit allen Mitteln den Film massenkompatibel zu machen.
@pk
Gibt es Elephant schon auf DVD, oder läuft er noch im Kino?
Deine Kritik hört sich wirklich gut an - macht Lust auf mehr.
[Dieser Beitrag wurde von GuyIncognito am 22.01.2005 um 11:30 editiert]
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Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit dem Radius Null - und das nennen sie dann ihren Standpunkt.
Albert Einstein
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23.01.2005 00:13
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pfeifenkrautler
Honk
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Jaja, ganz so naiv bin ich ja doch nicht.. aber ich gaube halt, dass sich "massenkompatibel" und "gut" nicht ausschließen müssen. "Dr. Schiwago", "Die Brücke am Kwai", "Der Pate" und "Alien I" waren große Publikumserfolge, soweit ich weiß, das geht schon.
Gerade bei "Troja" aber hatte ich das Gefühl, dass der Film seinem Publikum zu wenig zutraut. Oder "King Arthur" - hier ist das selten dämliche Script sogar stets der Hauptkritikpunkt, egal, wo mal drüber nachliest. Hier hätte ein besser erzählter Plot vielleicht mehr Leute ins Kino gelockt. Man kann einen Film auch zu einfach stricken.
Und auch heute gibt es Beispiele, wo solide Drehbücher gewürdigt werden, "Pirates of the Caribbean" ist ein großer Spaß, aber auch verdammt gut gemacht, clever und witzig. Das hat das Publikum honoriert. Und HdR selber ist eigentlich eher kein massenkompatibles Blockbusterkino: unzählige Figuren, eine furchtbar komplexe Welt und ein epischer Erzählstil..und doch wurde die Trilogie zum Mega-Seller. Man sollte die "Massen" (wer ist das überhaupt?) nicht zu schlechtreden.
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23.01.2005 00:57
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GuyIncognito
Beobachter d. Welten
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Massenkompatibel und gut müssen sich natürlich nicht ausschließen.
Aber du hast ja oben geschrieben - "Der Künstler soll seine Vison abliefern, egal, wie strange sie sein mag".
Und strange Visionen vertragen sich meist nicht mit dem Geschmack der Allgemeinheit. Kein halbwegs intelligenter Produzent wird einen Film mit extrem viel Geld fördern, wenn er aller Voraussicht nach nur einen Bruchteil davon wieder einspielt.
Entweder einer wagt es doch - er fällt damit auf die Schnauze oder er macht einen Glücksgriff und hat viel Erfolg damit. So in die Richtung ging damals vielleicht Matrix. Einiges an Geld und doch ziemlich abgedrehte Story.
Sehr wahrscheinlich ist aber, dass solche Filme wenig Geld bekommen.
Möglichkeit drei - es muß ein großer Blockbuster werden - dafür wird aber alles Massenkompatibel zurechtgezimmert um auf Nummer Sicher zu gehen.
Mir wäre es auch lieber, wenn es anders laufen würde, oder anders laufen könnte - aber viel Hoffnung hab ich nicht.
Thema Massen schlecht reden:
Ich glaube nicht mal, dass das gemacht wird. Ich sehe die Masse als die Mehrheit der - in unserem Fall - Deutschen.
Massenkompatibel ist eben ein Film, der nicht zu extrem in die eine oder andere Richtung geht. Mainstream eben. Wird es extrem, wird das Publikum immer weniger.
Massenkompatibel ist der Geschmack, der möglichst viele Menschen einschließt. Der kleineste gemeinsame Nenner.
So ein Film muß nicht schlecht sein... er muß aber mehr Kompromisse eingehen, als ein Film der konsequent auf sein, vielleicht extremes Zeil, hinarbeitet. Er muß den geschmack der Allgemeinheit treffen und nicht den einiger weniger.
[Dieser Beitrag wurde von GuyIncognito am 23.01.2005 um 00:56 editiert]
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Albert Einstein
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23.01.2005 00:44
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Kaylee
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Zitat: Arbrandir schrieb:
Der Mythos ist dem Kommerz verpflichtet. (Du findest das platt? Na dann sieh Dir mal Troja, (…) an --- und stelle mir einen umsetzbaren Plan vor, wie man derartige Geschichten auf die "große" Leinwand bringen kann, ohne Kompromisse in Sachen Authentizität und Integrität zu machen.)
Wo widerspräche denn hierbei die Massentauglichkeit der Authentizität und Integrität? Meinst du, man hätte keinen anderen, authentischeren oder integereren(?) Troja-Film machen können, den die ominösen 'Massen' bereit gewesen wären sich anzusehen?
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23.01.2005 02:25
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Ramujan
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Zitat: Der Künstler soll seine Vison abliefern, egal, wie strange sie sein mag, die Nachwelt soll darüber entscheiden.
Das möchte ich dahingehend relativieren, dass ein Regisseur schon immer im Hinterkopf haben sollte, dass da draussen auch irgendwo ein Publikum schwirrt, für das er den Film macht. Sonst entstehen schnell selbstverliebte Werke, die nur um ihren eigenen Lichtkegel kreisen und völlig unkonsumierbar sind. Dass ein Regisseur darüber hinaus Filme drehen sollte, die ihm selbst gefallen, versteht sich von selbst.
Dein Arwen-Helms-Klamm-Beispiel finde ich etwas ungeschickt; ich glaube, ich habe mal gelesen, dass Peter Jackson die Arwenkriegerin-Idee schon recht früh wieder verworfen hat: Jackson hat selbst gemerkt, dass da etwas nicht funktioniert, dass eine Arwen in Helms Klamm, so wie er die Szene darstellen wollte, keinen Sinn macht. Angeblich hat er da also nicht auf Fanprotest reagiert (da hätte er wohl auch ganz andere Sachen modifizieren müssen).
Viel schlimmer finde ich persönlich Testvorführungen in den USA: Wenn ein Film bei einer dieser Previews mit wild zusammengewürfelten Zuschauern durchfällt, bekommen die Studio-Bosse gerne Panik und lassen den Film noch mal komplett umschneiden oder das Ende nachdrehen. Da ist dann sicherlich keine künstlerische Integrität mehr gewehrleistet.
Zitat: Arbrandir schrieb:
Deine puristische Ansicht in Ehren, pk --- nur ist das im heutzutagigen Hollywood (und das ist nun mal die Matrix, in der 90 % der westlichen Welt lebt) die Utopie des unschuldigen Narren.
Jajafrüherwarallesbesser. Du kennst die vier Warner-Brüder? Die haben Filme verkauft wie Ingvar Kamprad Möbel und Bill Gates Computersoftware. Bei denen kam das Zelluloid vom Fliessband; Regisseure und Schauspieler schufteten im Akkord; die Kosten waren gering, der Output gewaltig, die Rentabilität wichtiger als Ambitionen.
"Ich betreibe eine Fabrik. Filme machen erfordert wie jede andere Art der Produktion, Disziplin und Ordnung – viel mehr als Temperament oder Talent.“ (Jack Warner, herauskopiert aus einem ZEIT-Artikel zum Thema).
[Dieser Beitrag wurde von Ramujan am 23.01.2005 um 02:25 editiert]
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23.01.2005 10:30
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GuyIncognito
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Zitat: Ramujan schrieb:
"Ich betreibe eine Fabrik. Filme machen erfordert wie jede andere Art der Produktion, Disziplin und Ordnung – viel mehr als Temperament oder Talent.“ (Jack Warner, herauskopiert aus einem ZEIT-Artikel zum Thema).
Das Erschreckende ist, dass sie mit dieser Fliesbandproduktion Erfolg hatten.
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Albert Einstein
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