Wayne interessiert's? - John Waynes Western


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Wayne interessiert's? - John Waynes Western    Dieses Thema ist 4 Seiten lang:    [1]   2   3   4   < Voriges Thema     Nächstes Thema >
Post 13.12.2004 10:59 PostWayne interessiert's? - John Waynes Western
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pfeifenkrautler
Honk


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Part I: The Searchers

(spoilers ahead)

Ich hatte mir vorgenommen, chronologisch vorzugehen (auf meine Sammlung bezogen), aber es ist natürlich etwas undankbar, wenn man gleich mit dem dreckigsten, zynischsten und vielleicht besten John-Wayne-Western anfangen muss. Nun gut, so sei es. Meisterregisseur John Ford schrieb damit 1956 Filmgeschichte, "The searchers" wurde zu einem der einflussreichsten Filme überhaupt, er war der Höhepunkt und zugleich Abgesang auf den klassischen amerikanischen Western und nahm mit seinem schonungslosen Erzählstil und seiner kompromisslosen Optik in vielen Punkten den Italowestern vorweg. Viele große Regisseure haben sich daran orientiert und ihn immer wieder zitiert, von Leone in "Once upon a time in the West" bis Tarantino in "Kill Bill II".


Der Held kommt immer über die Ebene

Das ist die allererste Einstellung von "The searchers" und sie bricht radikal mit der Bildsprache des klassischen US-Westerns. Eine sonnendurchglühte, staubige, monumental-abweisende Landschaft, ein einzelner Mann, er kommt nach Hause. Ethan Edwards kehrt aus dem Bürgerkrieg zurück, zu seinem Bruder und dessen Familie. Der Krieg ist seit drei Jahren vorbei, was Ethan seitdem gemacht hat, was er im Krieg erlebt hat, man erfährt es nicht. Er spricht nicht viel. Ein Berg von einem Mann, wenn er einen Raum betritt, ist der Raum voll. Schnell kristallisiert sich heraus, der Mann ist eine Ruine. Ein zynischer müder alter Krieger, der sichtlich Mühe hat, sich ans Zivilleben anzupassen. Er verschenkt seinen Säbel und seine Orden und schnell zeigt sich auch, dass zwischen ihm und seiner Schwägerin Gefühle existieren, die über das "schickliche Maß" hinausgehen. In der trauten häuslichen Umgebung seiner Ersatzfamilie wirkt Ethan wie ein Fremdkörper, wie ein Sprengsatz, ein Mann, der den Tod mit sich trägt wie einen alten Mantel.


Der Blick in die Zukunft oder der Blick in den Tod?

Und der Tod holt Ethan ein, kurz nach seiner Ankunft wird die Farm von Comanchen niedergebrannt, die Familie seines Bruders wird ausgelöscht. Ein brutales Massaker zehn Minuten nach dem Titelsong, das muss damals, in der heilen Welt des US-Western, wie ein Knüppel auf den Kopf gewirkt haben. Ethan verzieht keine Miene. Tod, damit kennt er sich aus. Zusammen mit einem zusammengewürfelten Haufen nimmt er die Verfolgung der Indianer auf. Die beiden Töchter der Familie, Ethans Nichten, befinden sich in der Gewalt der Comanchen und Ethan befürchtet das Schlimmste. Er trägt einen lodernden Hass gegen die Indianer in sich, vielleicht das Einzige an ihm, was überhaupt noch lebt. Bald zersplittert die Gruppe, während sich die Siedler auf den Nachhauseweg machen, zieht Ethan alleine weiter, begleitet vom halbindianischen Ziehsohn der Familie seines Bruders, Marty, ein Milchgesicht. Ein Waise der Indianerkriege, auch seine Familie wurde einst angeblich von Comanchen ermordet. Vielleicht aber ist er auch Ethans Sohn, einiges spricht dafür, man wird es nie erfahren. Ethan lässt Marty seinen Indianerhass bei jeder Gelegenheit spüren, er schikaniert den Jungen, wo er kann, aber nimmt ihn gleichzeitig unter seine Fittiche und schätzt dessen glühenden Willen, seine Ziehschwestern zu befreien.

Dann finden sie Lucy, die ältere, tot und geschändet. Etwas zerbricht in Ethan und die Suche nach Debbie, der Kleinen, vielleicht Zehnjährigen, seiner letzten Blutsverwandten, wird zu seinem Lebensinhalt. Gemeinsam mit Marty, der langsam zum Mann reift, durchstreift Ethan rastlos den wilden, weiten Südwesten der USA, auf der Spur eines berüchtigten Comanchenhäuptlings, "Scar", einer der letzten, die sich weigern, in die Reservate zu ziehen und den verhassten Eindringlingen den Krieg erklärt haben. Eine kleine, todesverachtende Truppe von Kriegern, verfolgt von zwei unerbittlichen Rächern.

Monate gehen ins Land, auf Sommer folgt Winter und ein neuer Sommer, Ethan und Marty kämpfen sich durch Schnee und Berge, durch Wüsten und Wälder, sie stoßen bis in die Great Plains des Nordens vor und überqueren die Grenze nach Mexiko, immer auf der Suche nach einem Kind, das längst zur Indianerin geworden sein muss. Es ist irgendwann nicht mehr als eine fixe Idee, ein Wahn. Während Marty es immerhin noch schafft, den Kontakt zur realen Welt nicht völlig zu verlieren und sich ein Mädchen anlacht und so etwas wie ein "nachher" im Auge behält, scheint für Ethan die Suche nach Debbie zum Selbstzweck geworden zu sein.


Ziemlich cool - Marty und Ethan

Die "Searchers" durchkämmen die Indianerreservate, fragen sich durch, sehen sich unter dem Treibgut der Indianerkriege um, unter den Gefangenen, den Entwurzelten, den Vertriebenen, ob sie ein weißes Mädchen entdecken. Die US-Kavallerie treibt Indianer zusammen, zwingt sie in die Reservate, Ethan und Marty finden Überreste von Massakern der Armee, sie sind abgestoßen von den Methoden der verachteten Yankees, rastlos irren sie zwischen den Fronten dieses schmutzigen Krieges umher. Sie führen ihren ganz eigenen, privaten Indianerkrieg und als es ihnen schließlich, nach fünf langen Jahren gelingt, Scar ausfindig zu machen, dämmert dem nicht gerade hellen Marty allmählich, dass Ethan eine zur Comanchin gewordene Debbie nicht akzeptieren wird. Aus der Suche nach Debbie wird der Wettlauf um ihr Leben. Marty muss sie vor den Indianern und vor Ethan retten, dessen Beweggründe immer weniger zu deuten sind. Was wird passieren, wenn er sie findet?

"The searchers" ist radikal anders als alle US-Western, die ich kenne. Er ist dreckig, zynisch und bitterböse. John Wayne spielt hier die Rolle seines Lebens, er spielt natürlich sich selber, den gleichen harten Mann, wie in allen seinen Filmen, aber mit einem zutiefst kaputten Kern. Ein Mann, der keinen Widerspruch duldet, der geborene Führer, wo er ist, ist kein Platz für einen anderen Befehlshaber, das macht er immer wieder klar. Er hat in seiner Armeezeit, über die er nicht spricht, genug Befehle entgegen genommen, das hier ist sein Krieg, hier bestimmt nur er, wo es langgeht. Marty steht ihm loyal zur Seite, aber kommt nicht an ihn ran. Ethan braucht keinen Menschen oder wenn, zeigt er es nicht. Vielleicht sind auch alle tot, die er mal brauchte. Er kann charmant sein, er ist nett zu Kindern, er hat Respekt vor anständigen Kerlen und er kann sogar lustig sein und findet Gefallen an einer zünftigen Prügelei und einem guten Glas Schnaps. Aber das sind nur kurze Momente. Ethan Edwards ist gefährlich, für seine Feinde und vielleicht auch für seine Freunde. Das ist nicht gerade der amerikanische Held. John Wayne verdient mit dieser Rolle den Ruhm, sein eigenes Klischee überwunden zu haben. Wie auch in den anderen Filmen, die ich mit ihm kenne, ist John Wayne immer ein Held mit Macken, mit Ecken und Kanten, mit Ironie, Sarkasmus bis hin zum Zynismus wie hier. Würde man Wayne auf das Stereotyp des harten Burschen reduzieren, des "american hero", tut man ihm unrecht, spätesten mit "The searchers" wird das klar.


Sieht so ein Held aus?

Es fiel mir nicht leicht, nach der Rolle des Ethan Edwards Wayne in Filmen wie "Rio Bravo" wieder als jovialen und gutgelaunten Vertreter der Gerechtigkeit zu erleben, das war schon eine Umstellung. Aber mehrschichtig ist er eigentlich immer, zumindest in seinen späteren Filmen. Er ist nicht umsonst eine der größten Legenden Hollywoods geworden. Er verkörperte ein Hollywood, das es schon bald nicht mehr gab und er ging mit ihm unter und gab dieser versinkenden Epoche sein Gesicht. Der Held, den bald keiner mehr braucht und der das ganz genau weiß. "That'll be the day", sagt Ethan immer, wenn ihm einer dumm kommt, und das klingt erstmal nach Spott, "Sicher, soweit wird's noch kommen..", aber irgendwo schwingt da auch die Ahnung mit, dass es wirklich soweit kommen wird. Ja, der Tag wird kommen.


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Post 13.12.2004 03:24 Post
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Arbrandir
Schuft


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Eine großartige Kritik/Beschreibung, pk! Nachdem Du schon einen meiner anderen absoluten Favoriten so geschliffen und gewitzt vorgestellt hast ... warum hast Du das eigentlich nicht zu Deinem Beruf gemacht, wenn ich mal fragen darf?!?!

The Searchers spielt auf ungemein komplexe Weise mit dem Motiv des "außen - innen", mit dem Bereich des "geschützten" (und dann doch der Verwüstung ausgesetzten) Bereichs des "Heims" einerseits und der "Wildnis" andererseits, die dann doch zur Heimat wird.

Ethan Edwards erscheint überall als Fremder, als Eindringling, als Außenseiter. Selbst innerhalb der eigenen Familie wird deutlich, daß er niemals dazugehört hat, niemals dazugehören kann -- ob es nun um seine unerfüllte Liebe zur Frau seines Bruders geht oder um seine letztendlich "fremde", von äußeren Konventionen aufgezwungene Beziehung zu seiner Nichte. Sein Charakter erscheint hier auf mehreren Ebenen fremd - einerseits will er Debbie töten, weil sie (durch ihre Assimilierung an das indianische Leben) selbst zu einer Fremden wurde. Andererseits stellt sich Ethan dadurch selbst jenseits der Regeln der westlichen Zivilisation, nämlich des Tabus, eine Frau, noch dazu ein Familienmitglied zu töten.

Dennoch folgt er schließlich dem "zivilisatorischen Ruf" und verschont Martins Schwester - weil er eben nicht anders kann ..... oder weil er schließlich Held sein muß.

Ethan Edwards ist ein Wurzelloser, ein Mann der Prärie, einer, der sich seine eigenen Regeln macht - insofern den Indianern, die er so inbrünstig haßt, nicht unähnlich. Wie sie steht auch er außerhalb der "verordneten Gesellschaftsordnung". Für ihn gibt es kein Zuhause, nicht einmal in seinem Haß.

(Die Figur des "Halbbluts" Martin ist in der Beziehung ungewöhnlich -- er mag simpel wirken gegen den alten Fahrensmann Ethan, aber er ist auch der "reine Tor", der keine anderen Ideale und Verpflichtungen kennt als die der Familie, welche letztendlich die Überhand gewinnen.)

Ethan dient als Bedeutungsträger und Archetyp des alten Wilden Westens / der "frontier". Gleichzeitig wird an ihm die letztendliche Zähmung des "wilden", des an kein Gesetz gebundenen Elements deutlich - zugunsten des Prinzips der "nuclear family", zu dem eine grenzgängerische Figur wie Ethan Edwards selbst keinen Zugang haben kann und darf.

Seine Welt liegt außerhalb, in der Weite der Prärie, die mit dem "zivilisierten" Leben (noch) nicht viel zu tun hat. Am Ideal der Familie, zu dessen Aufrechterhaltung er dann doch letztendlich beigetragen hat, wird er niemals selbst Anteil haben.

Und so läßt ihn auch die erste und letzte Einstellung des Films nicht Teil des vertrauten (und in dunklen Farben dargestellten) Innenraums eines inneren Kreises, einer Heimat sein. Er wendet sich von dieser heimelig-einsam-beengten Insel ab ... einfach weil das sein Platz nicht ist und niemals war.










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Post 13.12.2004 09:59 Post
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pfeifenkrautler
Honk


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Zitat:
Eine großartige Kritik/Beschreibung, pk!
Danke. Irgendwie sollte es keine Nacherzählung werden, aber ich wusste nicht, diesem Film anders beizukommen. Die Story zu kennen ist wichtig, um die Entwicklung Ethans zu verstehen. Aber ich werde in Zukunft versuchen, weniger zu spoilern (allerdings darfst du dann auch nicht das Ende verraten.. )

Zitat:
Nachdem Du schon einen meiner anderen absoluten Favoriten so geschliffen und gewitzt vorgestellt hast ... warum hast Du das eigentlich nicht zu Deinem Beruf gemacht, wenn ich mal fragen darf?!?!
Arbrandir benutzt multiple Satzzeichen? Ich fühl' mich geehrt. Aber weißt du, [John Wayne-Sprechmodus] ein Mann muss auch ein Hobby haben. [/John-Wayne-Sprechmodus]

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Post 13.12.2004 14:57 Post
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pfeifenkrautler
Honk


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Okay, und was ist nicht so toll am Meisterwerk?

Die Pappkulissen haben mich am meisten gestört, zuviele Szenen wirken billig, weil sie im Studio gedreht wurden. Das können auch die grandiosen Außenaufnahmen im Monument Valley nicht völlig ausgleichen. Das ist schade, das hätte nicht sein müssen, siehe "Robin Hood".

Zuviele Familienszenen unterbrechen immer wieder den Fluss der Handlung, die Szenen bei den Jorgensens, die Hochzeit und einige andere Szenen sind etwas lang und passen nicht so recht in die raue Geschichte. Hier musste Ford wohl die Erwartung des Kinogängers füttern und wollte nicht den klassischen Western komplett verraten.

Und wenn man die Überlegung fortführt, kommt man nicht umhin, sich ein pessimistisches Ende zu wünschen. Hätte Edwards seine Nichte erschossen und wäre danach dafür gehängt worden, wäre der Film nicht nur berühmt, sondern legendär. Aber das war wohl nicht drin, 1956. Man konnte John Wayne, den Volkshelden, nicht als Kindsmörder enden lassen. Vielleicht ist es auch besser so, so hatte der Italowestern auch noch was tun.

Die recht eindimensionale Darstellung der Indianer als grausame Killer ist ein beliebter Kritikpunkt, aber ich denke, für die Zeit und das Genre ging Ford schon recht weit, ich kenne sonst keinen alten US-Western, der Kriegsgreuel der US-Armee an den Indianern zeigt. Auch hier gilt sicher wieder, mehr war nicht drin, im erzkonservativen Eisenhower-Amerika.

Beim zweiten Mal ansehen hat mir "The searchers" viel besser gefallen als beim ersten Mal, ich habe mehr Untertöne erkannt und konnte die Entwicklung Ethans besser nachvollziehen. Und es liegt nahe, die Erfahrung Amerikas mit den Kriegsheimkehrern aus dem 2. Weltkrieg und dem gerade zu Ende gegangenen Korakrieg in seine Interpretation einzubeziehen. Eine Aufarbeitung der Kriegserlebnisse, der Schwierigkeit, sich ins Zivilleben zurückzufinden, hier thematisierte ein Western ein kollektives Trauma und zeigt, dass das Genre damals nicht umsonst so ein wichtiger Bestandteil der Populärkultur war.

Weiter geht's dann mit Rio Bravo, das ist wieder leichtere Kost
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Post 13.12.2004 15:04 Post
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Kaylee



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Total verpsychologisiert und ohne den Film gesehen zu haben, würde ich sagen, die Indianer stehen eh nur für den (ziemlich grossen) Teil seiner selbst, den er hasst. Den unzivilisierten Krieger, der er im Krieg geworden ist. Den bekämpft er draussen, deswegen hasst er die Indianer so, um ihn nicht in sich selber bekämpfen zu müssen.

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Post 15.12.2004 10:02 Post
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pfeifenkrautler
Honk


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Part II



Drei Jahre nach John Fords Meisterstück drehte Howard Hawks, der andere große Westernregisseur seiner Zeit, einen so gradlinigen und aufrechten Western, als hätte es „The searchers“ nie gegeben. Rio Bravo ist das Hohelied auf den einsamen Helden des Westens, der eben tun muss, was ein Mann tun muss. Der Kinomythos sagt, Hawks habe sich über den grüblerischen und von Zweifeln geplagten Sheriff in „High noon“, der jeden in der Stadt vergeblich um Hilfe anbetteln muss, so geärgert, dass er beschloss, einen Sheriff zu zeigen, der so etwas nicht nötig hat. Und wer anders käme dafür in Frage als John Wayne?

Der Film beginnt mit einer vierminütigen Stummszene, kein Wort wird gesprochen. Ein abgerissener, heruntergekommener Säufer betritt den Saloon, Dean Martin, auch im echten Leben Alkoholiker, da gehört schon eine gute Portion Selbstironie dazu, so eine Rolle zu übernehmen. Man macht sich über ihn lustig, ein Mann wirft einen Dollar in den Spuckkrug. Dean Martin, „Dude“ wie sie ihn hier nennen, hat nun die Wahl, anderen beim Trinken zuzusehen oder sich den Dollar aus der ekligen, verspeichelten Tabakbrühe zu fischen. Er schluckt seinen Stolz runter, doch gerade als er die Hand in den Messingkrug stecken will, tritt ein Stiefel den Krug weg. Dude schaut auf, über ihm steht ein Hüne, als ob John Wayne mit seinen fast zwei Metern nicht schon groß genug gewesen wäre, filmt ihn Hawks hier in seinem ersten Auftritt von schräg unten. John Wayne betritt die Bühne in übermenschlicher Größe, der Film lässt keinen Zweifel daran, wer der Held ist.


Ein Mann, ein Stern und ein Gewehr - was braucht es mehr?

John T. Chance, T for trouble, Raubein und Sheriff der kleinen Gemeinde, macht klar, wie es laufen wird: er wird Dude, seinem alten, abgestürzten Kumpel helfen, aber mit strenger Hand. Aus der Kneipenszene entwickelt sich ein Handgemenge, es fällt ein Schuss, ein Mord ist geschehen und John T. Chance handelt sich sofort Ärger ein, den er bis zum Ende des Films nicht mehr los wird. Der Mörder, den er an Ort und Stelle verhaftet, ist der missratene Bruder von Nathan Burdette, einem ebenso reichen wie skrupellosen Viehbaron. Der Film steckt die Eckpfeiler der Geschichte früh ab, ein gradliniger klassischer Westernplot, zigmal erzählt und simpel genug, um Raum zu lassen, für das, was Hawks uns eigentlich erzählen möchte, eine Geschichte über Freundschaft, Loyalität und Pflichtbewusstsein.

Joe Burdette sitzt im Gefängnis, bewacht von Stumpy, einem alten, hinkenden Veteranen, die rechte Hand von Chance. Ein ewig grummelnder Kauz, zuständig für den derben Humor, ganz ähnlich der Figuren des Fuzzy und Festus aus einschlägigen Westernserien. So etwas wie ein Archetypus des Genres. In sechs Tagen wird der Marshall aus der Kreisstadt eintreffen, um den Mörder abzuholen und der Gerechtigkeit zuzuführen. Nathan Burdette kann das nicht zulassen, er hält nicht viel von seinem nichtsnutzigen Bruder, aber auch er glaubt als guter Amerikaner an die „family values“. Er wird versuchen, seinen Bruder zu befreien, und wer sich ihm und seinen gedungenen Revolverschwingern in den Weg stellt, hat schlechte Karten.

John T. Chance weiß das, und er stockt seine Kräfte auf, er gibt Dude den Deputystern zurück, den er einst trug, vor seiner Alkoholkarriere. Er gibt ihm die zweite Chance, die jeder Mann, so lehrt uns der klassische Western, verdient hat. Ein weiterer Mord geschieht, ein alter Freund von Chance, der ihm helfen will, wird erschossen, die Sache wird ernst. Für Chance geht es nun nicht mehr allein darum, dem Gesetz Geltung zu verschaffen, das ist nun auch seine private Schlacht. Auf der einen Seite steht ein in die Jahre gekommener Sheriff, ein Trinker und ein Krüppel, auf der anderen Seite sammeln sich die Handlanger Burdettes in der Stadt wie die Krähen um das verendende Rind. Die rau-herzliche Stimmung der ersten halben Stunde weicht einer Atmosphäre der Beklommenheit. Doch Chance bleibt gelassen. Man merkt, er hat schon einiges erlebt, das wird nicht das erste Mal sein, dass jemand seinen Kopf will. Er war nicht immer Sheriff, er lässt ein, zwei mal eine raue Vergangenheit durchblicken, er stand wohl auch schon auf der anderen Seite. Auf jeden Fall ist er nicht der feingeistige Mann des Gesetzes wie sein Kollege in „High noon“, er ist eher das, was man wohl „streetwise“ nennt. Ich habe auch das Gefühl, dass er den Job nicht unbedingt deshalb durchzieht, weil ihm das Gesetz so am Herzen liegt, sondern einfach, weil er jemand ist, der Jobs durchzieht, auch wenn sie so schlecht bezahlt und vollkommen lebensmüde sind wie dieser. Niemals legt er sein Gewehr aus der Hand und die schmale Winchester wirkt in John Waynes mächtigen Pranken wie ein Spielzeug. Ein Spielzeug allerdings, das zielsicher Blei spuckt. Auf die Frage, warum er immer das Gewehr mit sich trage, antwortet Chance so ehrlich wie lakonisch: „Weil ich mal feststellen musste, dass ich mit dem Colt nicht schnell genug bin.“ Diese uneitle, pragmatische Einstellung charakterisiert Chance besser als jeder lange Dialog.


Suchttherapie nach Doktor Wayne

Die Lage spitzt sich zu, für Chance und den blitzgetrockneten Dude wird jeder Weg in der Stadt zur Gefahr, an allen Ecken lungern Revolvermänner herum, jeder ihrer Schritte wird beobachtet und es kommt zu blutigen Zusammenstößen. Burdette selber hält sich im Hintergrund und betreibt eine Zermürbungstaktik. Er macht klar, dass es nicht gesund ist, Chance zu helfen. Und dennoch wird ihm Hilfe angeboten, aus unerwarteten Richtungen. Colorado, ein blutjunger, aber schon sehr abgebrühter Halbstarker, ein Cowboy, der durch den letzten Mord seinen Arbeitgeber verlor und nun in der Stadt quasi gestrandet ist, zeigt Interesse an der misslichen Lage des Sheriffs, und sei es nur aus Lust an der Gefahr. Und „Feathers“, eine junge, bildhübsche Falschspielerin, die Chance mal so eben nebenbei enttarnt hat und mit der nächsten Postkutsche aus der Stadt und der Schusslinie bringen will, verguckt sich in den Hünen, bleibt da und geht Chance gehörig auf die Nerven. Sein Problem ist: er will keine Hilfe! Er ist Profi, er will das auf seine Art, mit seinen zwei Männern, die ihm treu ergeben sind, durchziehen. Er will keine Zivilisten und fremde Glücksritter da hineinziehen, die stehen ihm im Ernstfall ja doch nur im Weg rum. Er verhält sich entsprechend mürrisch allen Hilfsangeboten gegenüber, das genaue Gegenteil also zum bettelnden Sheriff aus „High noon“.

Doch Feathers läst nicht locker, sie ärgert ihn, schäkert und flirtet, und liefert sich manch Wortgefecht mit dem eher einsilbigen Chance, dass es nur so eine Wonne ist. Das sind die heitersten Momente des Films, John T. Chance, ein Mann wie ein Baum, steht wie ein Tölpel im Hotelzimmer einer nur halbangezogenen Lady und weiß nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. Sie dreht ihm jedes Wort im Mund rum und macht den armen Mann fast wahnsinnig. Ich vermute, hier hat sich Hawks etwas von Screwballklassikern wie „Leoparden küsst man nicht“ inspirieren lassen. Auf jeden Fall ist die Rolle von Feathers eine originelle Bereicherung des klassischen Plots und bringt einen ungewohnten Schuss Sexappeal in das staubige Heldenepos. Ich mag Feathers. Überhaupt ist jede Nebenrolle liebevoll besetzt, bis hin zum überdrehten, winzigkleinen mexikanischen Hotelier, auch ein John-T.-Chance-Fan, der arme Mann kann sich vor Loyalität kaum retten.


150kg und eine Winchester vs. Sex - unfair

Vorher hat er aber noch eine Kleinigkeit zu erledigen und nun steuert der Film sehr gekonnt auf den Showdown hin. Man merkt die hohe handwerkliche Qualität, es gibt keine Durchhänger, aber auch keine Hast. In 136 Minuten wird eine sich zuspitzende Geschichte langsam, aber zielsicher über die Bühne gebracht. Burdette ist nun aufgetaucht, er dirigiert die Einkesselung von Chance selber. Er bezahlt eine Mariachi-Band dafür, Tag und Nacht den „Cutthroat-Song“ zu spielen, eine getragene, wehmütig-bedrohliche Weise, psychologische Kriegsführung, und plötzlich weiß man, woher der Italowestern seine Musik nahm. Die mexikanisch-spanische Folklore, das sind die Wurzeln der Gänsehautmusik von Morricone, hier bereits von Hawks stilsicher eingesetzt.

Chance beschließt, den Gefangenen nicht mehr aus den Augen zu lassen, er verbarrikadiert sich mit seinen wenigen Getreuen, Colorado ist mittlerweilen auch dazu gestoßen, im Gefängnis, wo sie eine Art Junggesellen-WG aufziehen, drei Generationen von Außenseitern. Sie kontern in einer sehr schönen Szene die mexikanische Todesmelodie mit herzschmelzenden Cowboy-Weisen, Dean Martin darf seine Samtstimme zum Einsatz bringen und John Wayne lehnt im Türrahmen und lächelt. Irgendwo tief drin ist er nämlich doch ein Netter. Herzerwärmend auch die Szene, als er Dude dessen alten Revolver schenkt, den Chance von dem Mann heimlich zurückgekauft hat, dem Dude die Waffe für eine Flasche Schnaps verscherbelt hatte. Dean Martin hat Tränen in den Augen, als er die Waffe in den Händen hält, er weiß gar nicht, was er sagen soll, John Wayne winkt ab und wendet sich zur Seite und auch sein Blick trübt sich verdächtig, eine sehr romantische Szene. So sagen sich harte Männer, dass sie sich lieb haben, sie schenken sich gegenseitig Pistolen.

Viel Zeit bleibt den Eingeschlossenen aber nicht für derlei Liebesbeweise, nun nimmt Burdette das Heft in die Hand, er muss eine Entscheidung erzwingen, bevor der Marshall eintrifft und noch eine ganze Reihe von Männern müssen ins Gras beißen, bis das Gute siegen darf. Das explosive Finale ist beste Unterhaltung, aber fast schon nicht mehr wirklich wichtig, fast schon Routine. Was der Film erzählen will, passiert vorher, in den dramatischen Tagen, in denen sich eine Stadt zum Kampfplatz wandelt. Der Film meistert den Spagat zwischen düsterer Spannung und launigen Betrachtungen über Freundschaft und Liebelei höchst professionell und bringt immer alles unter einen Hut. Feuergefechte wechseln mit Wortgefechten und stillen Momenten, es ist alles da, was man sich von einem klassischen US-Western nur wünschen kann, die volle Ladung.

„Rio Bravo“ ist extrem professionell gemacht, das Timing stimmt, jeder Charakter ist überzeugend angelegt, nirgends wurde geschlampt. Daraus ergibt sich ein pralles, rundes Bild, eine sicher naive, aber sehr unterhaltsame Geschichte, die man sich gut anschauen kann, ohne dass sie sich abnutzt, ein echter Klassiker. Wenn Howard Hawks mit diesem Film dem aufrechten US-Western ein Denkmal setzen wollte, bevor dieser noch weiter durch „Verräter-Filme“ wie „The searchers“ und „High noon“ demontiert wird, so ist es ihm voll und ganz gelungen.


[Dieser Beitrag wurde von pfeifenkrautler am 15.12.2004 um 10:02 editiert]

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Post 15.12.2004 09:38 Post
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Kaylee



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Post 15.12.2004 13:04 Post
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Ramujan



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Zitat:
Kaylee schrieb:



Definitiv. Das blöde ist nur, dass ich weder den einen noch den anderen Film gesehen habe und somit auch nicht so richtig auf den Text eingehen bzw. ihn würdigen kann. Das muss dann wohl Arbrandir machen.

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Post 15.12.2004 13:38 Post
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pfeifenkrautler
Honk


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Der nächste Film in dieser Besprechung wird "The man who shot Liberty Valance" sein. Den kannst du dir ja vorher anschauen, ich lass mir auch Zeit, versprochen.
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Post 15.12.2004 13:28 Post
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Bobby



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Beiträge: 127
Eine schöne Besprechung eines meiner Lieblingsfilme.
Die musikalischen Darbietungen von Dean Martin und Ricky Nelson tragen einen nicht unwesentlichen Teil dazu bei, dass mir dieser Film so gut gefällt !!

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Immer hält der Menschenfresser, wenn er seine Beute frisst, links die Gabel rechts das Messer,weil er gut erzogen ist !!

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