15.02.2005 13:02
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Gesammelte Billy Wilder-Retrospektiven

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Mike Hat
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Beiträge: 1852
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*hechel, hechel, hechel*
*in den Thread wetz*
*schnipps, schnipps*
1 - 2 - 3

Ich bin spät dran, aber das macht nichts - ist ja auch kein Wunder bei dem überreichlichen Angebot an Schnee dieser Tage. Mir tut es höchstens ein bisschen um Kaylee leid, die eventuell auf diesen Thread gewartet hat; und natürlich auch für mich, der ich diesen Text um Mitternacht in die Tasten haue, unbarmherzig wach gehalten, angetrieben und inspiriert durch eine Halbliterflasche koffeinhaltiger Limonade. Die Hoffnung stirbt zuletzt: "Vielleicht kann ich da noch was kitten, hoffentlich bevor Alex oder Arbrandir mit ihrer großen Billy Wilder-Retrospektive loslegen. Arbrandir könnte, nein, er muss gewissermaßen schon bald etwas über die legendäre Bordsteinschwalbe Irma la Douce zu Forum bringen, welche vor zwei Tagen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt wurde."
Jetzt aber dreht sich alles um...
Billy Wilders Koffer in Berlin
"Eins, zwei, drei" und zwar zackig! Das könnte die kürzeste anzunehmende Zusammenfassung dieser Komödie aus dem Jahr 1961 sein. Sie wurde von Billy Wilder nämlich derart temporeich inszeniert, dass sie selbst für heutige Sehgewohnheiten kein bisschen angestaubt wirkt. Da sitzt wirklich jede Pointe, es geht Schlag auf Schlag, in einem rasanten Tempo von der ersten bis zur letzten Minute, und das gemischte Schauspielerensemble aus amerikanischen und deutschen Darstellern hatte offenkundigen Spaß daran, unter dem Komödienspezialisten österreichisch-ungarischer Herkunft zu drehen. Auch ist Liselotte Pulver in einer Nebenrolle als blonde, etwas naive Sekretärin wie immer höchst anschmachtungswürdig – sie darf allerdings wenig sagen, erfüllt somit eher ornamentale Funktionen. Heutzutage wären zu meinem großen Bedauern immer weniger deutsche Schauspielerinnen bereit, eine solche Rolle anzunehmen. Vielleicht Veronica Ferres...
Doch zurück zur Handlung und warum der Film zu Billy Wilders größtem Misserfolg wurde:
Der ehrgeizige C.R. MacNamara (James Cagney), Leiter der deutschen Filiale des Coca Cola-Konzerns in Westberlin, schlägt sich mit seinem inkompetenten Mitarbeiterstab herum, der aus der hübschen Sekretärin Ingeborg, dem schleimigen Assistenten Schlemmer und dem unablässig salutierenden Chauffeur Fritz besteht. MacNamara plant Großes, seinen Aufstieg auf der Karriereleiter, den er mit der Ausdehnung des uramerikanischen Saftladens und baldigen Limonadenimperiums nach Osten vorantreiben will. Er steht dazu bereits in Verhandlungen mit den Gesandten Peripetchikoff, Mischkin und Borodenko von der russischen Handelskommission.

Was er nun in dieser Situation am wenigsten gebrauchen kann, ist die überkandidelte Tochter seines Chefs (Pamela Tiffin), die sich gerade auf einer Europa-Rundreise befindet. MacNamara soll den Aufpasser spielen, doch versagt er dabei kläglich: Das Mädchen verliebt sich ausgerechnet in den strammen Ostberliner Jungkommunisten Otto Ludwig Piffl (schrecklich hölzern: Horst Buchholz), lässt sich von ihm schwängern und heiratet umgehend den ungewollten Vater. Eine Katastrophe für MacNamara, als zu allem Überfluss auch noch die ahnungslosen Eltern des Mädchens zu einem Berlin-Besuch anrücken.
Mehrere Versuche Otto wieder loszuwerden schlagen fehl: Die Annullierung der Ehe scheitert ebenso wie eine fingierte Verhaftung Ottos in Ostberlin. Als MacNamara von der Schwangerschaft Scarletts (also der Tochter) erfährt, bleibt ihm nichts anderes übrig, als aus Otto innerhalb weniger Tage einen Vorzeige-Kapitalisten zu machen...

Trotz dieser vielversprechenden Zutaten wurde aus Billy Wilders sarkastischem Rundumschlag über Alt-Nazis, Kommu – und Kapitalisten (die sich allesamt gar nicht so sehr unterscheiden) ein veritabler Flop. Noch während der Dreharbeiten am Brandenburger Tor kam es zu dem Ereignis, das die Teilung Deutschlands besiegelte, dem Bau der Berliner Mauer. Alle weiteren Szenen mussten in die Münchner Bavaria-Studios verlegt werden, das Brandenburger Tor wurde für 200 000 DM nachgebaut.
"Die Geschehnisse des 13. August ließen das, was witzig, lustig und überdreht gedacht war, plötzlich zynisch wirken. Nach der Uraufführung im Dezember 1961 schrieb die Berliner Zeitung empört: 'Was uns das Herz zerreißt, das findet Billy Wilder komisch.' 'Eins, zwei, drei' verschwand sang- und klanglos aus den Kinos. Umso größer der Erfolg bei der Wiederaufführung im Jahr 1986. Jetzt verstand und liebte man den Film, jetzt amüsierte man sich prächtig bei dieser respektlosen Geschichte, in der Wilder so manche damals 'Heilige Kuh' schlachtete."
So ist es wohl. Die Anspielungen in dem Film sind oftmals genial und etwas versteckt. So gibt es eine Szene, in der die Sekretärin Ingeborg zur Unterhaltung der Männer von der Handelskommision auf einem Tisch tanzt und einer der glatzköpfigen Gesandten mit seinem Schuh den Takt dazu klopft.
MacNamara und Schlemmer liefern sich einige der besten Dialoge des Films:
C.R.MacNamara: Na also, unter uns, Schlemmer, was haben Sie während des Krieges gemacht?
Schlemmer: Ich war in der Untergrund - The Underground.
C.R.MacNamara: Widerstandskämpfer?
Schlemmer: Nein, nein - Schaffner. In der Untergrund, in der U-Bahn.
C.R.MacNamara: Und natürlich waren Sie kein Nazi und waren nie für Adolf?
Schlemmer: Welchen Adolf?

Schlemmer: Die Herren Kommunisten sind eingetroffen.
C.R.MacNamara: Sollen reinkommen!
Peripetchikoff: Also Genossen, was sollen wir jetzt machen? Er hat es, wir wollen es. Sollen wir annehmen seinen erpresserischen kapitalistischen Handel?
Mischkin: Wir abstimmen.
Peripetchikoff: Ich stimme ja.
Mischkin: Ich stimme ja.
Peripetchikoff: Also zwei von drei. Handel in Ordnung!
Borodenko: Genossen, bevor Ihr macht Dummheit, ich muss warnen. Ich bin nicht Mitglied von Handelskommission, ich bin Geheimagent mit Auftrag, Euch zu überwachen.
Mischkin: In dem Fall ich stimme nein. Handel ist aus.
Borodenko: Aber ich sage ja!
Peripetchikoff: Wieder zwei von drei. Handel in Ordnung!
[Dieser Beitrag wurde von Mike Hat am 15.02.2005 um 13:02 editiert]
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16.02.2005 01:55
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Arbrandir
Schuft
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Beiträge: 866
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Geehrter Mike,
eine schöne Besprechung. Aber wenn ich mich so umschaue .... hm, dann sind wir wohl unter uns. Komme mir vor wie in einem schlechten Italowestern, in dem das stereotype Prairie Weed (ich nenn das jetzt mal so) von rechts nach links über die leere Geisterstadt-Main Street geweht wird, ein scharfes Mundharmonikasolo einsetzt und die Kamera in einem langsamen vertical tilt erst den langsam im Wind baumelnden Schatten und dann die Füße des kürzlichst Gehenkten einfängt.
The rest --- is silence.
....
Öhm.
Höre meinen Ruf: Verweigere Votiffor... Fovi ... na die Kerzendinger halt, und komm auf die dunkle Seite der Macht!!
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16.02.2005 10:07
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Lothiriel
Badenixe
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Nix da! Nicht bevor hier etwas über "Sunset Boulevard" steht.
*dezentmitderVotivkerzewinke*
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Ihr habt doch alle keine Ahnung.
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16.02.2005 10:56
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Re: Gesammelte Billy Wilder-Retrospektiven
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Kaylee
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Registriert: Jan 2004
Beiträge: 4029
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Zitat: Mike Hat schrieb:
Mir tut es höchstens ein bisschen um Kaylee leid, die eventuell auf diesen Thread gewartet hat; und natürlich auch für mich, der ich diesen Text um Mitternacht in die Tasten haue, unbarmherzig wach gehalten, angetrieben und inspiriert durch eine Halbliterflasche koffeinhaltiger Limonade.
Diese tolle Besprechung hat die gewartete Zeit und die vermissten Votivgaben mehr als wett gemacht! *verneiiiiiig* Sooo hatte ich mir das vorgestellt.
Und, was eigentlich in den Erkenntnisthread gehört, ich musste voller Erstaunen feststellen: Ich KENN den Film!! Schon beim ersten Bild hatte ich den Verdacht, der sich dann bei deiner lebendigen Schilderung betonhart verfestigte.
Eins würde mich allerdings noch interessieren, warum findest du den jetzt den Besten von Wilder?
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Tiefkühlhähnchen, die durch die Stratosphäre wirbeln, zählen zu den Mysterien unserer Existenz.
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16.02.2005 12:13
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Mike Hat
Moderator
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Registriert: Jun 2001
Beiträge: 1852
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Zitat: Diese tolle Besprechung hat die gewartete Zeit und die vermissten Votivgaben mehr als wett gemacht! *verneiiiiiig* Sooo hatte ich mir das vorgestellt.
Freut mich, Kaylee. Leider musste ich alles aus dem Gedächtnis niederschreiben oder auch mal was ergoogeln, sonst hätte ich den Text noch wesentlich umfangreicher gestalten können.
Zitat: Eins würde mich allerdings noch interessieren, warum findest du den jetzt den Besten von Wilder?
Vermutlich kenne ich nicht genügend Billy Wilder-Filme. (Eigentlich nur "Ninotchka", "Lost Weekend", "Some Like It Hot", "Ocean's Eleven", "Casino Royale", "Witness for the Prosecution" und eben "One, Two, Three".) Letzteren finde ich einfach als Komödie vorbildlich. Doch ja, das kann man so sagen.
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16.02.2005 13:10
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pfeifenkrautler
Honk
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Registriert: Mar 2004
Beiträge: 5344
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Ich glaub, ich hab noch keinen Wilder-Film je ganz gesehen. Das sind für mich nur so bruchstückhafte Kindheitssonntagsnachmittagserinnerungen. Die liefen dann halt immer, wurden mir aber schnell zu langweilig, weil niemand erschossen wurde.
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Held ohne nennenswerte Kenntnisse
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16.02.2005 15:00
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lenaluna
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Registriert: Apr 2004
Beiträge: 134
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... nur nicht gleich die Flinte ins Korn werfen, pk!
"Sunset Boulevard" fängt mit einer Leiche an und hört mit derselben auch wieder auf... sehr lakonisches Stück Film - das wäre doch was für Dich *fg*
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16.02.2005 18:07
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Triskel
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Registriert: Apr 2004
Beiträge: 2609
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Zitat: Arbrandir schrieb:
in dem das stereotype Prairie Weed (ich nenn das jetzt mal so) von rechts nach links über die leere Geisterstadt-Main Street geweht wird
Tumbleweed...ich kenn es auch als Windhexe.
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16.02.2005 20:17
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Celebrian
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Registriert: Jun 2003
Beiträge: 239
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Zitat: Mike Hat schrieb:
Vermutlich kenne ich nicht genügend Billy Wilder-Filme. (Eigentlich nur "Ninotchka", "Lost Weekend", "Some Like It Hot", "Ocean's Eleven", "Casino Royale", "Witness for the Prosecution" und eben "One, Two, Three".) Letzteren finde ich einfach als Komödie vorbildlich. Doch ja, das kann man so sagen.
"Ninotchka" ist von Lubitsch. *klugscheiß* Wilders drei Russen sind allerdings sozusagen ein Zitat aus Ninotchka.
Ich kenne auch wenig Wilder, aber "Eins zwei drei" ist bestimmt der beste. *g* Ich glaube, ich habe bei keinem Film soviel gelacht. Ich würde Dir nur in einem Punkt widersprechen wollen, Mike: Horst Buchholz spielt lediglich in seiner ersten Szene etwas hölzern, und da kann man das sogar noch als Interpretation der Rolle deuten. Und sowieso ist das wurscht, weil er so verdammt sexy ist.
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"Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt."
L. Wittgenstein
"Day 200075:
Council very boring. Got to say "DOOM" a few times in v. dramatic voice."
(The very secret diary of Lord Elrond)
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16.02.2005 20:32
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Arbrandir
Schuft
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Registriert: Mar 2004
Beiträge: 866
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TUMbleweed, natürlich!!!! Danke, Triskel! Hab mir gestern das Hirn zermartert und bin einfach nicht 'drauf gekommen. (Ich schieb's mal großzügig auf die schlaflose Nacht davor...)
Aber jetzt weiß ich zur Abwechslung auch mal was: Lubitsch ist zwar der Regisseur von Ninotchka, aber Billy Wilder war maßgeblich am Drehbuch beteiligt (neben Walter Reisch und Charles Brackett). Manche Leute meinen ja, es seien eher die Drehbuchschreiber als "wahre" Schöpfer eines Films anzusehen.
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